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packte mit Riesenkraft den Ausreißer und brachte ihn zum Stehen. Alles dies war das Werk eines Augenblicks. Der liebende Dragoner hinkte auf seinen Freiersfüßen dem Rappen nach, murmelte einige Flüche, die wie ein Dank lauten sollten, saß auf und jagte davon. Martiniz aber ritt, ohne auf den tausendstimmigen Beifall, der ihm von der Menge, die sich versammelt hatte, zugejubelt wurde, zu achten, zurück, grüßte ehrerbietig an des Präsidenten Haus hinauf und zog, gefolgt von dem alten Diener, auf seinem Morgenritt weiter.

Ida hatte in dem schrecklichen Moment das Fenster aufgerissen; sie hatte die Gefahr der armen Kleinen, hatte mit steigender Angst den gefährlichen Moment gesehen, wo Martiniz im gestreckten Karriere sein Pferd herumriß auf die Gefahr hin, zu überstürzen; sie hätte mögen mit jener Menge laut aufjauchzen und konnte sich nicht enthalten, als er vor ihrem Fenster vorbeikam, seinen Gruß so freundlich als möglich zu erwidern. Dieser Moment war entscheidend; in der Angst, die sie fühlte, ward sie sich bewußt, wie teuer ihr der Mann war, der dort hinflog. Das gepreßte Herz, die stürmisch wogende Brust rang nach einem Ausweg. Der Hofrat wollte seinen alten Sarkasmus wieder spielen lassen, aber er drängte ihn zurück, als ihn das Mädchen so bittend ansah, als sie seine Hand drückte und die hellen, vollen Thränen aus den sanften Augen herabfielen. „Ich bin ein rechtes Kind, nicht wahr, Hofrat? aber über solche Szenen kann ich nicht anders, muß ich unwillkürlich weinen. Lachen Sie nur nicht über mich, es würde mir gerade jetzt recht wehe thun.“

„Gott bewahre mich, daß ich lache“, entgegnete der Hofrat, „wenn eines im höchsten Fieberparoxismus[WS 1] ist wie Sie, Goldkind, so lacht man gewöhnlich nicht“; er dankte ihr für ihre Schokolade, nahm Stock und Hut und ließ das Mädchen mit ihrem siebzehnjährigen, von dem Keim der ersten Liebe stürmisch bewegten Herzchen allein.



Der Brief.

Als Hofrat Berner nach Tisch wieder in des Präsidenten Haus kam, um ihn, da er ihn heute früh verfehlt hatte, zu besuchen, [51] traf er Ida wieder so vergnügt und fröhlich wie immer. „Das ewige Aprilwetter!“ dachte er, „auch bei ihr bleibt es nicht aus; wenn wir morgens weinen, so darf man gewiß sein, daß uns auch der Abend noch traurig oder doch ernst findet; aber das weint und lacht, klagt und tollt durcheinander wie Heu und Stroh.“ Er setzte sich zum Präsidenten, der gewöhnlich vor dem Kaffee noch ein halbes Stündchen tischelte[WS 2], gegenüber hatte er das liebe Aprilenkind und nötigte sie durch sein beredtes Mienenspiel, wodurch er sie an heute früh erinnerte, alle Augenblicke zum Lachen oder Rotwerden.

A propos! Sie kommen gerade recht, Berner“, sagte der Präsident, „hätte ich doch beinahe das Beste vergessen. Sie können mir durch Ihre Umgänglichkeit und Gewandtheit, durch die viele freie Zeit, die Sie haben, einen sehr großen Gefallen thun. Ich bekam da heute vom Minister-Staatssekretär ein Brieflein, worin mir unter den größten Elogen[WS 3] der ganz sonderbare Auftrag wird, neben meinem Amt als Präsident auch noch den gehorsamen Diener anderer Leute zu spielen. Da haben Sie“, fuhr er fort, indem er einen Brief mit dem großen Dienstsiegel hervorzog, „lesen Sie einmal vor, aber da die Elogenstelle bleibt weg, ich kann das Ding für meinen Tod nicht leiden, wenn man einen so ins Gesicht hinein lobt.“

Berner nahm den Brief, der, weil in solchen Fällen der Staatssekretär von Pranken selbst schrieb, ein wenig schwer zu lesen war, und begann:

„Nächstdem wurde mir höheren Orts der Wink gegeben, daß, da ein sicherer Graf von Martiniz den Kreis Ew. Exzellenz bereisen werde, ihm aller mögliche Vorschub und Hülfe zu teil werden soll. Besagter Herr von Martiniz wurde unserm Hofe durch den –schen Minister plenipotentiair[WS 4] aufs angelegentlichste empfohlen; er hat im Sinn, bei uns, aller Wahrscheinlichkeit nach in Ihrem Kreise, sich bedeutende Güter zu kaufen, ist ein Mensch, der seine drei Millionen Thaler hat und vielleicht noch mehr bekommt, und muß daher womöglich im Lande gehalten werden. Ew. Exzellenz können, wenn solches gelingen sollte, auf großen Dank höhern Orts rechnen, da, wie ich Ihnen als altem Freunde

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Heftige Aufregung, Höhepunkt einer Fiebererkrankung.
  2. Im süddeutschen Raum üblicher Begriff dafür, nach dem Essen noch gemütlich am Tisch sitzen zu bleiben und sich zu unterhalten.
  3. Lobreden, Komplimente.
  4. Ministre plénipotentiaire (frz.), „Bevollmächtigter“, Gesandter zweiter Klasse.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 50–51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_028.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)