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ihm nächstens wieder zu erzählen. Der Hofrat sann nach über das, was er gehört, die Szenen und Winke, die ihm Madame Plappertasche vorgesetzt hatte, gingen ihm wie ein Mühlenrad im Kopf herum, sinnend kam er an seinen Platz und setzte sich nieder. „Vater tot, Mutter tot, Schwestern tot, und dennoch hatte der alte Diener gesagt, ja wenn es dies allein wäre; was konnte ihm denn sonst noch gestorben sein, etwa eine Gel– nein! Geliebt konnte er nicht haben, denn wie könnte er nach dreiviertel Jahren, so lange hatte der Diener gesagt, sei er traurig, wie konnte er nach so kurzer Frist schon wieder um eine Gräfin Aarstein auf die Freite gehen? Unmöglich! – Hätte, wenn jenes doch der Fall wäre, hätte Ida auf ihn einen solchen Eindruck –“

Ja, das wollte er eigentlich, der gute Hofrat, Ida hatte bestimmt auf ihn einen großen Eindruck gemacht, das war auf dem Ball ganz und gar sichtbar, denn er schaut ja nur nach ihr und immer wieder nach ihr, und sein ernstes Gesicht, wie klärte es sich auf, als sie ihn im Kotillon holte! Heute früh, hatte er nicht einen Feuerblick gegen sie heraufgeworfen, als hätte er eine Congrevesche Batterie[1] hinter den Wimpern aufgefahren? War es ihm selbst nicht, als sollte die Schokolade in seiner Hand, von diesen Brennspiegeln getroffen, anfangen zu sieden?

Heute abend, wer hatte denn da hinter den roten Gardinen auf des Mädchens gefühlvolles Spiel gelauscht als er? Wer war so gerührt davon, daß ihm die hellen Thränen hervorperlten, als der gute Graf Martiniz? Und Idchen? Nun, die war ja reinweg in den Mondgast verschossen. „Die Aktien stehen gut!“ lachte der Hofrat in sich hinein und rieb sich unter dem Tisch die Hände, „bin neugierig, ob diesmal der alte vergessene Hofrat nicht weiter kömmt mit seinem guten ehrlichen Hausverstand als der Herr Minister-Staatssekretär Superklug und Übergescheit in der Residenz mit seinen diplomatischen, extrafeinen Kniffen, mir muß das Goldfischchen in das Netz, mir muß –“

„Wenn ich nicht irre, mein Herr, so hatte ich gestern schon [65] das Vergnügen –“, tönte dem alten Träumer, der über seinen staatsklugen Planen die Tafel, Nachbarschaft und alles vergessen hatte und jetzt erschrocken auffuhr und sich umsah, ins Ohr – es war Martiniz, der sich unbemerkt neben ihn gesetzt hatte; er hätte vor Schrecken in den Boden sinken mögen, denn sein erster Gedanke war, dieser müsse seine Gedanken erraten haben, besonders da er sich nicht mehr deutlich erinnern konnte, ob er nicht etwa, was ihm oft passierte, laut mit sich selbst gesprochen habe?

Die Nähe des Fremden übte eine beinahe magische Gewalt auf den Hofrat aus; die sinnende kluge Miene, das neben seinem schwärmerischen Glanz Verstand und Nachdenken verratende Auge imponierte ihm, jedoch auf eine Weise, die ihm nicht unangenehm war; es war ihm, als müsse er sich vor dem jungen Mann recht zusammen nehmen, um nirgends eine Blöße zu geben oder einen seiner Plane zu verraten. Die gewöhnlichen Fragen, wie sich der Gast hier gefalle, Komplimente über seine Reitfertigkeit, mit welcher er heute früh einem Kind das Leben gerettet, und dergleichen, waren bald abgemacht, ohne daß er über des Fremden Gesinnungen nähern Aufschluß bekommen hätte. Es kam an die Gegend des Freilinger Kreises, es wurde gelobt, gepriesen, einzelne Güter, die durch Lage und Ertrag sich auszeichneten, näher beschrieben, aber auch hier ging der Gast nicht ein; er verlor kein Wörtchen, als wolle er sich nur um einen Thaler Land mieten oder kaufen.

Der Hofrat haute sich jetzt einen neuen Weg ins Holz; er lobte die Residenz, das angenehme Leben dort, die Schönen der Stadt und des Hofes, jetzt mußte er etwas sagen, es mußte sich zeigen, ob er die Aarstein – Der Gast sprach von der Residenz, von den schönen Anstalten dort, von der Militärverfassung, schien namentlich über die Kavallerie sich gerne genauere Aufschlüsse geben zu lassen, aber kein Wörtchen über die Damen. Endlich, der Hofrat hatte gerade eine trefflich bereitete Ortolane à la provençal[WS 1], seine Leibspeise, am Mund und einen tüchtigen Biß hineingethan, da wandte sich Martiniz zu ihm herüber und fragte, ob er nicht in der Residenz die schöne Ar– Schnell wie der Wind fuhr Berner mit seiner Ortolane auf den Teller, wischte den


  1. Eine Batterie von Brandraketen, genannt nach ihrem Erfinder, dem englischen Ingenieur und Artilleriegeneral William Congreve (1772–1828).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die Gartenammer Emberiza hortulana, ein in Südeuropa beheimateter Singvogel, gilt als Delikatesse; die Art der Zubereitung à la provençale geht auf Alexandre Dumas d. Ä. zurück (siehe die Artikel Fettammer und Ortolans à la provençale (frz.) bei Wikipedia).
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 64–65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_035.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)