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Tag ihres Lebens schließen; doch nein – sie nahm sich zusammen und erklärte ihm, wie sie das in der Residenz ganz anders gelernt habe.

„Es würde dem guten Grafen ein wenig kleinstädtisch vorkommen, wollten wir ihn gleich von vornherein zum Mittagessen einladen. Wir müssen einen Bedienten hinüberschicken und ihm sagen lassen, daß wir ihn zur Theestunde erwarten, da wird er dann nicht fehlen; wir bitten Direktors Pauline und Fräulein Sorben, den Hofrat, meinetwegen einen oder den andern deiner jungen Räte dazu. Ich mache die Honneurs[WS 1] beim Thee, und um neun Uhr marschieren die Herrschaften wieder ab. Dem Grafen sagen Sie, Sie wünschen ihn öfter bei uns zu sehen und namentlich um die Theestunde. Ist er einigemal dagewesen, so bittet man ihn, einmal beim Nachtessen zu bleiben; nachher koche und backe ich eines Tages recht flott und anständig, Sie, lieber Papa, geben ihm morgens nur so en passant einen Besuch heim und lassen fallen, ob er nicht einmal, etwa heute, eine Suppe mit uns essen wolle; es wäre unartig, es auszuschlagen. Die Idee mit dem Hausball ist recht hübsch, übrigens darf nur er allein merken, daß es ihm zu Ehren geschieht; wir würden uns lächerlich machen, wollten wir den Leuten sagen, daß wir dem Grafen Martiniz einen Ball geben; es kann ja heißen, Papa gebe mir einen Einstand in sein Haus.“

Papa Präsident war alles zufrieden, nur wollte ihm die neue Sitte, daß man sich stelle, als seie alles Natur, was doch nur immer wieder die alte Kunst ist, nicht recht einleuchten. Er hatte ihr die Schlüssel des Hauses und alle Gewalt im Boden und Keller übergeben, und das Mädchen rumorte jetzt als thätige Hausfrau in dem großen Gebäude umher, als sollte sie zwanzig Wagen voll Gäste empfangen. Sie sollte ihn sehen, sie sollte ihn sprechen, er mußte, wenn er nur halbwegs so artig war, als er aussah, jetzt alle Wochen wenigstens viermal herüberkommen – nein, es war nicht zu sagen, wie himmlisch selig das Mädchen war!

Um zehn Uhr hatte es angefangen zu tollen und zu rumoren, und schon um zwölf Uhr war das Theezimmer bereitet, wie es heute abend sein mußte. Erschöpft von den Haushaltungsgeschäften [73] warf sie sich in ein Sofa, machte die Augen zu, um sich den Abend schon recht selig zu träumen, sie besann sich, wie man ihm den Abend recht schön mache, daß er recht oft wiederkomme, sie suchte ihre beste Musik zusammen, um ihn zu erheitern und die Schwermut von seiner Stirne zu bannen, so – o, es mußte einen herrlichen Abend geben; da fiel ihr auf einmal die Gräfin Aarstein ein, und alle Freude, aller Jubel war wieder hinweggeflogen; Thräne auf Thräne stahl sich aus dem Auge, sie klagte alle Menschen an und war auf sich, auf die Welt bitterböse.

Aber Berner, der nachmittags nur im Flug ein wenig bei ihr einsprach, verscheuchte diese Wolken. Er war zwar zu vorsichtig, um ihr den tiefen Eindruck zu schildern, den sie auf den geliebten Fremden gemacht hatte; aber das sagte er mit triumphierender Miene, daß sie vor der Aarstein nicht bange haben solle; er habe gute, köstliche Nachrichten, die dies vollkommen bestätigen. Weg war er, ehe sie ihn noch recht fragen konnte, und sie hatte doch so viel, so unendlich viel zu fragen. Er hatte ihr nur von der Aarstein gesprochen und wollte sich nichts weiter merken lassen, der gute Hofrat! Aber wo ist ein Mädchen, das die Flamme der ersten, reinen Liebe im Herzen trägt, wo ist ein solches Engelskind, das nicht in ein paar Stunden die größten Fortschritte in der Kunst zu schließen und zu berechnen gemacht hätte? Man sprach soviel von magnetisierten Schläferinnen und clair voyantes;[WS 2] man schrieb viele gelehrte Bücher über solche seltene Erscheinungen, und wie gewöhnlich ließ man, was am nächsten lag, unbeachtet; das sind ja die eigentlichen clair voyantes, die Mädchen mit der ersten, kaum erkannten Sehnsucht in der Brust; wohl haben sie die Augen niedergeschlagen, aber dennoch sehen sie weiter als unsereiner mit der schärfsten Brille, die Liebe hat sie magnetisiert, hat ihnen das Auge des Geistes geöffnet, daß sie in den Herzen lesen. So auch Ida; sie merkte dem Hofrat wohl an, daß er mehr wisse, als er sagen wolle, mit der Gräfin war es nichts, aber ebensogut mußte er wissen, daß es auch mit keiner andern etwas sei, sonst hätte er nicht so vergnügt, nicht so schelmisch gelächelt. Er wußte, das sah die neue clair voyante jetzt hell und klar, er mußte sogar wissen, daß Martiniz sie

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Honneurs machen bedeutet, sich als Gastgeber um einen Gast zu kümmern, d. h. diesen zu empfangen, an den Tisch zu führen, beim Essen zu bedienen, ihm zuzusprechen und ihn beim Weggehen zur Tür zu begleiten.
  2. In den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhundert machte der Arzt Franz Anton Mesmer (1734–1815) mit seiner Lehre vom animalischen Magnetismus, mit der er die Heilkunst zu revolutionieren versuchte, großes Aufsehen in Europa; die größtenteils weiblichen Patienten, die während solcher Behandlungen in Trance sprachen, nannte man Clairvoyants, Hellseherinnen; vgl. die Artikel Franz Anton Mesmer und Armand de Puységur bei Wikipedia, sowie den Artikel Der Magnetismus, Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 18–22.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 72–73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_039.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)