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O, wer das Mädchen jetzt gesehen hätte, wie es das Köpfchen in die Ecke des Sofas barg, wie alles Blut nach dem vom süßen Schauer der ersten Liebe bebenden Herzen hinauf und hinab wogte, wie der jungfräuliche Busen zitterte und hüpfte, wie ein nie gekanntes Gefühl wie eine Mitternachtssonne in den Nächten des Nordpols im Tiefsten ihres Innern mit ihren zuckenden, blitzenden Strahlen aufging! Wahrlich, es liegt eine rührende Zaubermacht in einem solchen Gesichtchen voll stiller Seligkeit, es ist der Lichtpunkt des jungfräulichen Lebens, zu dem sie einen kurzen Weg hinauf-, von welchem sie lange, oft traurige Stufen hinabsteigt!



Der lange Tag.

Aber der Nachmittag war auch gar zu lange, die Stunden gingen so träge hin; sie konnte sich ordentlich über sich selbst ärgern, daß sie schon heute frühe das Theezeug gerüstet hatte; sie fing an zu arbeiten, zehnerlei nahm sie vor und legte es ebenso schnell zurück. Sie hatte ein Boukett von Phantasieblumen angefangen, sie hatte sonst mit Lust und Liebe daran gearbeitet, aber nein! Es war doch auch gar zu langweilig; erfunden war etwas bald, man malte seine Gedanken recht artig aufs Papier, aber bis man alle die Blätter und Blättchen zusammenband – zurückgelegt bis auf weiteres; sie nähte so wunderhübsche Tapisserien; sie machte ihre Kreuzstiche so fein und gleich, als habe sie in den besten Fabriken gelernt, und alles ging ihr so schnell von der Hand, daß es eine Freude war. Ihre Freundinnen in der Residenz hatten sich immer Stücke von Paris und London kommen lassen; da waren die schönsten Guirlanden von Rosen, Astern, alle möglichen Blumen und Farben; in der Mitte war leerer Raum gelassen, daß die Damen nach ihrem Belieben hinein nähen konnten, was sie immer wollten; natürlich stachen meistens die schönen Pariser Guirlanden sonderbar ab gegen die Dessins der Residenzdamen; Ida hatte immer nur ihr leeres Stickstramin vorgenommen, hatte sich selbst mit geübter Hand Zeichnungen entworfen und war noch vor ihren Freundinnen fertig, die Idas Arbeit für Zauber, für nicht möglich gehalten hätten, wenn [75] sie nicht unter ihren Augen entstanden und vollendet worden wäre. Sie hatte noch in der Residenz ein prachtvolles Fußkissen für Papa angefangen, sie nahm es jetzt auch wieder vor, aber sie konnte sich selbst nicht begreifen, wie sie früher so langweilige Arbeiten machen, Stich über Stich und immer wieder Stich um Stich machen konnte, – zurückgelegt bis auf weiteres. Sie zeichnete mit schwarzer Kreide so fein, so gefällig für das Auge, daß sie der Stolz ihres Zeichenlehrers war; auch hier war ihre Geduld unermüdlich gewesen; wenn andere ihre Kopien kaum durchgezeichnet und, mit den ersten Schatten versehen, schon weggeworfen oder dem Zeichenmeister zur Vollendung auf einen Geburts- oder Namenstag übergeben hatten, so hatte Ida fortgemacht, und man sah allen ihren wunderlieblichen Bildern an, daß sie con amore ausgeführt waren; denn hatte sie einmal etwas angefangen, so mußte es auch vollendet werden. Sie hatte eine angefangene Madonna della sedia[WS 1] mitgebracht; sie öffnete jetzt die Mappe, breitete das Bild, das schon in seinen Umrissen viel versprach, vor sich aus, spitzte die Kreide, nahm sich vor, mit recht viel Geduld zu zeichnen, aber bald gab die Kreide keine Farbe, bald wurden die Striche zu dick und mußten verwischt werden; sie wurde von neuem gespitzt, aber, war die Spitze zu fein, oder die Zeichnerin zu ungeduldig, oder die Kreide zu grobkörnig, alle Augenblicke brach sie unter dem Messer ab, und Finger bekam man so schwarz, daß sie kaum mehr rein gemacht werden konnten; sie entsetzte sich wie Lady Macbeth vor ihren eigenen Händchen, packte die Madonna schnell ein und legte sie ad acta. Sie setzte sich vor ihre Kommode, zog alle Schubfächer heraus, wühlte in Blonden und Bändern und besah sich Stück vor Stück, auch der Schmuck wurde hervorgezogen und gemustert; aber hatte sie dies alles nicht hundertmal gesehen und wiedergesehen? Schnell Schmuck, Bänder und Blonden in die Fächer und zugeschlossen; alle diese Herrlichkeiten wollten das unruhige Herzchen nicht zerstreuen.

Endlich, endlich schlug es fünf Uhr, und sie konnte sich jetzt doch, ohne sich von ihrem Zöfchen auslachen zu lassen, zum Thee anziehen. Sie studierte jetzt recht ernsthaft, was sie wählen sollte, einen vollen Anzug oder ein Hausnegligee? In der Residenz

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Im Sessel sitzende Mariengestalt, nach einem berühmten Gemälde von Raffael.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 74–75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_040.png&oldid=- (Version vom 8.2.2018)