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Geheime Liebe.

Aber so gewiß die Freilinger alles zu wissen glaubten, so wußten sie doch nichts. Es ist eine eigene Sache um die Liebe, besonders um die erste: es gehen so zwei Menschen nebeneinander hin, still vergnügt, still selig; sie sehen aus wie Kinder, denen etwas recht Hübsches träumt, und einem andern käme es grausam vor, sie aufzuwecken. Sie gehen nebeneinander hin, sprechen von den gleichgültigsten Dingen und denken an das, was ihr Herz erfüllt, sie wagen es nicht auszusprechen, und doch verstehen sie sich so gut durch die Augen, denn sie tragen den Schlüssel zu dieser Zeichensprache nebst Wörterbuch und Formenlehre in ihrem treuen Herzen. So war es auch bei Martiniz und Ida. Sie wußten, daß sie sich liebten, aber noch hatte der Graf nie deutlich darüber gesprochen, noch hatte ihm Ida keine Gelegenheit gegeben, sich zu erklären.

Der Hofrat Berner sah diesem allem halb freudig, halb unmutig zu. Er liebte die beiden guten Leutchen, als wären es seine eigenen Kinder, darum hätte er ihnen auch alles Gute und Liebe gegönnt, eben darum konnte er aber dieses verschämte Treiben nicht leiden. Er war so halb und halb des Grafen Vertrauter, denn dieser hatte ihm ja alle Tage von des Mädchens Schönheit, seinem Reichtum an stillen Tugenden vorgeschwatzt, hatte ihm gestanden, daß er glaube, Ida sei ihm gut, aber dabei blieb es auch, und Berner war zu zart, bei dem Grafen den Kuppler zu spielen. Auch Idas Vertrauter war er; er kannte ja ihr Herzchen beinahe seit es schlug, er wußte jede Schattierung in ihren Liebessternen zu deuten, er sah ganz deutlich den Schelm mit Pfeil und Bogen in ihren klaren Pupillen, und doch wollte auch sie nicht recht voran; doch konnte er es ihr, als einem Mädchen, weniger übelnehmen als ihm.

„Nein! wer mir je so etwas gesagt hätte“, dachte er, „dem hätte ich mit Fug und Recht unter die Nase gelacht; ein polnischer Garde-Ulanen-Rittmeister, mit dem Rang eines Oberstlieutenants in der Linie, und wagt nicht einmal ein Mädchenherz, das ihm gewogen ist, anzugreifen.“ Er hätte mögen aus der Haut [99] fahren, wenn er daran dachte, wie man zu seiner Zeit gelebt und geliebt habe, und wie die Welt in den letzten Jahrzehenden sich so ändern konnte. Aber wie, wenn Martiniz aus Gewissenh– ja, das war nicht unmöglich, es konnte Gewissenhaftigkeit sein, daß er sich nicht erklärte; befand er sich, der unglückliche junge Mann, ja doch immer noch in demselben Zustand, wie er hier angekommen war.

Der Küster, der jetzt regelmäßig nachmittags sein Däpschen hatte, ohne daß seine Frau begreifen und ergründen konnte, woher er das Geld dazu herbringe, der Küster hatte dem Hofrat alle Morgen referiert, wie es in der Nacht zuvor mit dem Grafen in der Kirche gegangen sei; er hörte zwar, daß er seit neuerer Zeit weniger stark wüte, daß er aber desto mehr weine und jammere. Es war ein eigenes Ding mit diesem Zustand; es war kein Zweifel, daß der Graf jede Nacht um dieselbe Stunde davon befallen werde, und doch sah man ihm den Tag über keine Spur von Wahnsinn an; nur seine zarte Blässe, das Wehmütige, das noch immer in seinem Wesen vorherrschte, konnte darauf hindeuten, daß er körperlich oder geistig angegriffen sei.

Seinen Entschluß, den alten Brktzwisl um die Krankheit seines Herrn zu fragen, hatte der Hofrat noch immer nicht ausrichten können; je näher er den jungen Mann kennen lernte, je mehr Achtung er täglich vor seinem gediegenen Charakter, vor seinem ausgebreiteten Wissen bekam, desto unzarter schien es ihm, auf diesem Wege in seine Geheimnisse eindringen zu wollen.

Aber unablässig verfolgte ihn der Gedanke, daß er vielleicht, wenn er das Nähere über des Grafen Krankheit wüßte, helfen könnte. So saß er eines Morgens in seinem Zimmer, dem man die Junggesellenwirtschaft wohl ansah; der Küster hatte im Vorbeigehen zum Schnapshaus ein wenig bei ihm eingesprochen und erzählt, gestern nacht sei der fremde Herr so zahm gewesen wie ein Lamm, aber geweint habe er wieder, daß ein Töpfer die Hände darunter hätte waschen können. Er sann hin und her, wie man dem Geheimnis beikommen könnte; da klopfte es bescheiden an der Thüre, und der alte Brktzwisl trat zu ihm ins Zimmer.

Der Hofrat konnte den alten Diener wohl leiden; er schien so

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 98–99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_052.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)