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majestätischen, niedlichen Formen der alten und neuen Bildhauerkunst gesehen, mit wahrhaftem Kunstfleiß studiert, und was waren sie, was war Venus und alle Grazien, was war Madonna und alle die herrlichen heiligen Gesichtchen aller Zeiten und Schulen gegen dieses geheimnisvolle Amorettenköpfchen? Es lag Ein Liebreiz in diesem süßen Wesen. – Er hörte sie seufzen, eine große, helle Perle hob sich unter den seidenen Wimpern; er ergriff ihre Hand und drückte seinen Mund darauf, sie zog das weiche Wunderpatschchen nicht weg.

„Können Sie zürnen, mein Fräulein“, hub er an, „daß ich zu so ungelegener Zeit“ – er hielt inne, um ihre Antwort zu erwarten – keine Antwort.

„Wenn ich gewußt hätte, daß ich Sie nicht heiter finden würde, ich hätte mir gewiß nicht die Freiheit“ – noch keine Antwort.

„Sie haben einem Unglücklichen eine Thräne des Mitleids geschenkt, zarte Herzen wie das Ihrige verstehen einen tiefen Schmerz viel früher als andere, möge Gott Ihnen diese Thränen des Mitgefühls vergelten, die mir so unendlich wohlthun“ – keine Antwort, nur Perlchen um Perlchen drängt sich über den feinen Rand der Wimpern.

„Sie zürnen mir also dennoch“, fuhr Martiniz trübe lächelnd fort, „das beste wird sein, ich nehme mir die Freiheit, Sie ein andermal zu besuchen.“ Er wollte seine Hand aus der ihrigen ziehen, aber Ida hielt ihn fest.

„Herr Graf!“ flüsterte sie leise bittend –

„Warum nennen Sie mich Herr Graf“, antwortete Martiniz, „wie oft haben Sie versprochen, Martiniz, und wenn ich recht gut bin, Emil zu sagen.“

„Martiniz!“ flüsterte sie wieder.

„O, bin ich denn nicht mehr so gut wie gestern, oder sind Sie nicht mehr die freundliche, tröstende Ida wie früher?“

„Emil!“ hauchte sie kaum hörbar, aber in diesem einzigen Wörtchen lag ein so süßer Ton, dem alle Saiten in Emils Brust antworteten; voll namenloser Seligkeit beugte er sich von neuem auf ihre zarte Hand; doch er faßte sich wieder, und es war ihm [117] zwar sauer genug, aber dennoch kam er bald wieder in den rechten Takt der vertrauenden Freundschaft. Er bat sie, ihn geduldig anzuhören, er wolle ihr sagen, warum er so trübe und traurig durchs Leben gehe, und vielleicht werde sie ihn entschuldigen.

Er erzählte ihr die Geschichte seines unglücklichen Hauses, wie sie der alte Brktzwisl dem Hofrat erzählt hatte; aber den schrecklichen Verdacht, den der alte Diener nur ahnte und sich selbst nicht zu gestehen wagte, bestätigte er. Er erzählte, daß, als er aus jener langen Krankheit wieder zu völligem Bewußtsein und dem Gebrauch seiner Verstandeskräfte gekommen sei, habe ihm das Leben und die ganze Erde so öde geschienen, daß er seiner Mutter und Schwester die selige Ruhe im Grabe gegönnt, ja beneidet habe; besonders seine Schwester habe er glücklich gepriesen, denn, betrogen von dem Manne, den sie liebte, wie hätte sie ferner glücklich leben können?

Aufs neue sei damals eine große Bitterkeit in seiner Seele gegen den Italiener aufgestiegen, der nur nach dem fernen Norden gekommen schien, um ein holdes Mädchen auf wenige Stunden glücklich zu machen und dann zu betrügen, einen Freund zu gewinnen und ihn dann zum unerbittlichen Rächer zu machen. Da habe man ihm einen Brief gebracht, den seine Schwester kurz vor ihrem Ende geschrieben habe; er enthielt das Bekenntnis einer tiefen Schuld, einer unwürdigen Schande. Antonio habe lange geahnt, daß er, obgleich ihr Verlobter, doch nicht der einzig Begünstigte sei. Er habe sie in einem Augenblick getroffen, der ihm keinen Zweifel über die Unwürdigkeit der Geliebten gelassen.

Doch zu edel, sie der Schmach und dem Unwillen ihrer Familie preiszugeben, habe er ihr erlaubt, seinen Verlobungsring fortzutragen, in wenigen Wochen wolle er Warschau verlassen und sie nie mehr sehen; ihren Ring, bei welchem sie ihm mit den heiligsten Eiden Treue geschworen, wolle er der nächsten besten Metze schenken.

„Dies war die einzige Strafe“, fuhr Martiniz fort, „die sich der edle, so schändlich betrogene Mann erlaubte. Wie unselig rasch ich handelte, wissen Sie, mein Fräulein; meinem Sekundanten wollte er die Schande meiner Schwester nicht anvertrauen,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 116–117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_061.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)