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warum bist du nicht fröhlich mit den Fröhlichen, sage mir deinen Kummer, ob ich nicht helfen kann?‘“ Es ist etwas im weiblichen Herzen, das sie in einzelnen Momenten so hoch erhebt, daß sie Entschlüsse fassen und ausführen, wovor ein Mann vielleicht sich gescheut hätte. Auch Idas Herz war nicht unempfänglich für solche große Entschlüsse, die der kältere Beobachter mit Unrecht Schwärmerei nennt; sie lehnte sich an die Brust des alten Freundes und lispelte mit geschlossenen Augen kaum hörbar, aber fest entschlossen: „Ich will es thun, denn ich fühle es: der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme!



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Zweiter Teil.




Die Heilung.

Es war vierundvierzig Minuten auf Mitternacht, als aus des Präsidenten Haus ein paar dunkle Gestalten traten; die eine, größere, war in einen dicken Überrock geknöpft, den Hut tief ins Gesicht gedrückt; die andere, kleinere, hatte einen Shawl von dunkler Farbe um den Kopf geschlagen, war tief in einen Karbonaro eingewickelt, der aber zu lang schien, denn die Person, die ihn trug, mußte ihn alle Augenblicke aufnehmen. Die beiden Gestalten schlichen sich dicht an den Häusern hin, gingen mehrere Straßen entlang und verschwanden endlich im Portal der Münsterkirche.

Bald darauf kam ein Mann mit einer Laterne über den Münsterplatz; es war der Freilinger Küster; er schloß schweigend die große, garrende Kirchthüre auf und winkte den beiden Gestalten, einzutreten. Die kleinere schien zu zögern, als scheue sie sich, in den nachtrabenschwarzen Dom zu treten; als aber der Küster mit seiner Laterne voranleuchtete, schien sie mutiger zu werden und folgte, doch sah sie bei jedem Schritt unter dem Shawl hervor, als fürchte sie, irgend etwas Greuliches hinter den großen Säulen hervorgucken zu sehen.

Am Altar machten sie Halt. Der Küster zeigte auf einen breit vorspringenden Pfeiler, von wo aus man den Altar und einen großen Teil der Kirche übersehen konnte, und die beiden Verhüllten nahmen dort ihren Platz; die Laterne gab übrigens so wenig Licht, daß man, ohne näher zu treten, die an dem Pfeiler Sitzenden von dem übrigen Dunkel nicht unterscheiden konnte. Indem hörte man den Glockenhammer im Turme surren und zum Schlag

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 122–123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_064.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)