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hatte einen Brief in der Hand, aus welchem er soeben etwas Unangenehmes vorgelesen haben mochte, denn die Gräfin schien mit Mühe sehr heiter zu sein, ihr kolossaler Busen wogte ungestüm auf und ab.

„Exzellenz“, krächzte Sorben aus seiner angegriffenen Brust hervor, „Exzellenz! da bekomme ich soeben ganz sonderbare Nachrichten von Ihrem Zukünftigen aus Freilingen.“ – Die Gräfin und der Rittmeister warfen sich bedeutende Blicke zu, aber der graue Hofmann ließ sich nicht merken, daß er es gemerkt habe – „ja, aus Freilingen; er soll dort en passant ein galantes Verhältnis mit einer jungen Dame, des Präsidenten von Sanden Tochter, angeknüpft haben; solches wäre nun unter andern Umständen ziemlich gleichgültig, Exzellenz werden sich aber vielleicht noch aus dem Brief aus Warschau erinnern, daß der Herr Graf ein Schwärmer genannt wurde, und einem solchen, wissen Sie wohl, ist nicht zu tr–“

„Nicht zu trauen, da haben Sie recht, lieber Sorben, da haben Sie recht, und ich danke Ihnen für Ihren Eifer. Die Sache ist übrigens einmal so weit eingeleitet, daß das Gräfchen daran muß, es mag wollen oder nicht; – was schreibt sein Onkel?“

Diese Querfrage brachte den Geheimerat beinahe ganz außer Fassung, denn sein Gewissen sagte ihm, daß er in dieser Hinsicht ein gewagtes Spiel spiele. Als nämlich Graf Martiniz ins Land kam, als man überall von seinem Reichtum sprach, der Staatssekretär ihn für eine gute Prise erklärte und alle Segel aufspannte, um ihn für die Gräfin zu kapern, da wollte es Sorbens Glückstern, daß ihm eine bedeutende Rolle zufiel.

Er hatte in Karlsbad den alten Onkel Martiniz kennen gelernt und stand jetzt noch in einiger Korrespondenz mit ihm. Sein Geschäft war es daher, den alten Polen für die Heirat seines Neffen mit der Gräfin Aarstein zu gewinnen; er hatte sich auch nicht anders gedacht, als er werde leichtes Spiel haben, der alte Graf wußte ja nichts von den fatalen Verhältnissen der Aarstein, und – ja, es mußte gehen, er schrieb dem alten Martiniz und trug ihm gleichsam die Hand der Gräfin für den Neffen an. Mittlerweile hatte er, um sich bei der Gräfin, die dem regierenden [135] Hause so nahe verwandt war, wichtig und unentbehrlich zu machen, viel von seinem großen Einfluß peroriert, den er auf seinen Intimus[WS 1], den alten Martiniz, habe, und jedesmal, so oft auf die Heirat die Rede kam, ganz zuversichtlich gesagt: „Es fehlt sich gar nicht, der alte Pole muß wollen, was ich will, und damit holla!“

Das Ding hatte aber doch einen Haken; der Graf hatte seinem Karlsbader Freund wieder geantwortet, „daß diese Verbindung mit einer so erlauchten Dame seinem Neffen wie dem ganzen Hause Martiniz nicht anders als zur größten Ehre gereichen könne, und daß er sich unendlich freue, die schöne Gräfin einmal als seine Schwiegernièce[WS 2] zu umarmen“. Bis hieher war es nun ganz gut, jetzt aber kam der Haken. „Was übrigens sein Votum in der Sache betreffe“, schrieb er weiter, „so müsse er sich mit Wünschen begnügen, denn er habe den Grundsatz, in solche Affairen sich auch nicht im geringsten einzumischen; sein Neffe kenne ihn auch von dieser Seite vollkommen und wisse, daß er ihm zu keiner Verbindung weder zu- noch abraten werde. Er solle einmal nach Liebe heiraten; natürlich nicht unter seinem Stand, wenn er aber diese Grenze nicht überschreite – gebe er seinen Segen zu jeder Wahl.“

Das war nun ein verzweifelter Haken; Sorben hatte sich vorgestellt, der Alte werde bei einer Gräfin Aarstein sogleich mit beiden Händen zugreifen und sie dem Herrn Neveu als Frau Gemahlin präsentieren ohne weitere Sperranzien; wahrhaftig, man mußte im Norden noch weit, sehr weit in der Kultur zurück sein, daß man von einer Heirat nach Liebe sprechen konnte; doch der Karren war schon einmal verfahren und konnte auf dieser Seite nicht mehr herausgehaudert werden, der alte Herr von Sorben dachte also: „vogue la galère[1], der alte Narr muß wollen!“ machte gute Miene zum bösen Spiel und sagte dem Staatssekretär und der Gräfin, der alte Martiniz seie vollkommen damit einverstanden. Ein böses Gewissen behielt er aber bei der Sache noch immer; wenn ja das Gräfchen Goldfischchen doch


  1. Franz., d. h. möge das Schiff dahinsegeln, s. v. w.: es sei gewagt!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Engen Freund, Vertrauten.
  2. Schwiegernichte.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 134–135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_070.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)