Seite:De Wilhelm Hauff Bd 3 077.png

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bestellt worden und hatte jetzt noch die Unverschämtheit, ihm ein Zimmer abzufordern, daß er besser hinüber zu seiner Dulcinea[WS 1] – Nein, in diesem Tone konnte es nicht fortgehen; die Wehmut war stärker als die Bitterkeit und wurde Herr über sie; er warf sich in sein Sofa und weinte bitterlich. So war gewiß noch kein Mensch getäuscht worden wie er; der Zufall, der blinde Zufall läßt ihn ein Mädchen finden, so hold, so schön, so ganz Unschuld und reine Jungfräulichkeit; er muß sie lieben, und wie glücklich ist er in dieser Liebe; Trost, Freudigkeit, Ruhe, Dinge, die er seit langer, langer Zeit nicht gekannt, ziehen wieder ein in sein Herz, er fühlt sich glücklich, wie er selbst damals, als noch sein Haus in Fülle des Glücks und der Freude prangte, nie gefühlt hatte, er sah, ja er durfte es sich gestehen, er sah das Morgenrot der ersten, zarten, jungfräulichen Liebe auf ihren Wangen aufgehen, und diese Liebe galt ihm; mit einem Zauberschlag schuf sie aus ihm, dem Unglücklichsten der Sterblichen – den Glücklichsten. Jetzt hatte er ja alles, was die kühnsten Wünsche nur verlangen mögen: Gesundheit, Jugend, hohe Geburt, Ehre und Ansehen, Geld, daß er den Markt von Freilingen mit Thalern hätte belegen lassen können, ohne daß er es sonderlich gefühlt hätte, es fehlte ihm nichts mehr als das eine, ein holdes, tugendsames Weib, und auch dieser hohe Wurf war ihm gelungen, er hielt im seligsten Moment seines Lebens ein Mädchen im Arm, ein Mädchen, für dessen Tugend er sein Leben gegeben hätte; da sendet in dem Augenblick, wo er sein Herz hingeben will, der Himmel eine Dame, die unwillkürlich den Schleier ein wenig lüftet und ihn das Mädchen ein wenig näher kennen lehrt, die ihn merken läßt, daß dieses Auge nicht zum erstenmal von Liebe leuchte, dieser keusche Mund nicht zum erstenmal geküßt werde, die, wenn man es gleich in der großen Welt nicht so genau nimmt, doch selbst eingestand, daß es gut sei, daß man das Mädchen aus einem unschicklichen Verhältnis herausgerissen – abscheulich! ein Teufel in Engelsgestalt – an eine Schlange, an eine Kokette hat er sein Herz verloren, da, wo er schüchtern mit der verschämten Zartheit erster Liebe um ein einziges Küßchen gebeten hatte, da hatten andere geschwelgt! Er schämte sich wie ein Primaner, der die Rute [149] bekommen hatte, so betrogen, so schnöde angeführt worden zu sein; er gönnte ihr, obgleich sein Herz dabei blutete, er gönnte ihr den Rittmeister, es reute ihn beinahe, daß er ihm sein Logis versagt hatte, alle Zimmer hätte er ihm geben sollen, er wollte morgen in alle Weite fortziehen. – Und dennoch drängte es ihn, noch da zu bleiben; wenigstens rächen wollte er sich an ihr, er wollte hinüber zu ihr, wollte sehen, wie sie sich jetzt gegen ihn betragen würde, wollte sehen, ob sie jetzt, da der rechte Liebhaber gekommen, ob sie jetzt noch die Stirne habe, ihn wie bisher an der Nase herumzuziehen; tausenderlei nahm er sich vor, ihr zu sagen, aber das eine war ihm zu spitzig und schneidend, er wollte ihr nicht so arg wehthun, das andere war ihm zu weich, zu gefühlvoll, er wollte ihr nicht zeigen, wie tief sie sein Herz verletzt habe – das beste schien ihm, er wollte ganz und gar nichts mit ihr reden, wollte thun, als ob gar keine Ida in der Welt seie, oder als seie sie ihm wenigstens sehr gleichgültig, wollte ihr zeigen, daß er sie verachte.

Die Stunde, zu der man gewöhnlich beim Präsidenten Thee trank, hatte schon geschlagen; er wischte sich daher schnell die letzte Thräne, die er der Dirne geweint haben wollte, hinweg, besorgte eilends seine Toilette, warf sich in die Kleider, preßte das weich gewordene Herz mit beiden Händen zusammen und ging dann den schweren Gang hinüber in jene Zimmer, wo er einst so unendlich glücklich gewesen war.



Der neue Nachbar.

Es war, als seie ein feindlicher Dämon mit der Gräfin in Präsidents Haus eingezogen. In wenigen Stunden war alles, das ganze ruhige, stille Leben des Hauses verändert. Alles rannte und flog, um den hohen Gast zu bedienen; es war ein Jagen und Treiben, ein Rennen und Laufen, daß man glaubte, der Feind sei vor den Thoren. Der ärgste war der Präsident selbst; ganz still verklärt schlüpfte er in allen Ecken des Hauses umher, zankte und hantierte, daß die Konfusion nur noch ärger wurde, und ihn sein Mädchen, das vor Haushaltungsgeschäften und Herzensangelegenheiten

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Dulcinea war die Geliebte des Don Quixote im Roman des spanischen Dichters Cervantes und nach ihr wurde die Geliebte eines Mannes seine Dulcinea genannt.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 148–149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_077.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)