Seite:De Wilhelm Hauff Bd 3 078.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

nicht wußte, wo ihr der Kopf stand, ihn um Gotteswillen bat, sie doch ganz allein machen zu lassen. Es war aber auch kein Wunder, daß er sich ein wenig verrückt gebärdete. Der Himmel hing ihm voller eigenhändig-durchlauchtigster Belobungsschreiben, voll großer Verdienstkreuze mit breitem Band über die Brust, voll Dotationen und Standeserhöhungen; jetzt war er in seinem Esse[WS 1], jetzt konnte er negozieren und zeigen, daß er nicht umsonst in Regensburg und Wetzlar in seiner frühen Jugend Diplomatie studiert hatte. Was er mit seinen kühnsten Wünschen nicht für möglich gehalten hätte, führte ihm ganz bequem der Zufall in die Hände. Der Staatssekretär hatte ihm aufgetragen, dafür zu sorgen, daß Martiniz sich ankaufe und für die Idee einer Verbindung mit der Aarstein gewonnen werde; es hatte ihm wahrhaftig schon manche Sorge gemacht, ob er diesen Ausbruch allerhöchsten Vertrauens auch gehörig rechtfertigen werde. Jetzt gab der Himmel der Gräfin ein, auf ihre Güter zu reisen. Was doch nicht der Zufall thut! Ohne daran zu denken, daß es wirklich einmal in Erfüllung gehen könne, denn der gerade Weg führte zwei Meilen seitwärts an Freilingen vorbei, hatte er einmal in der Residenz in einem Anfall von galanter Laune der Gräfin das Versprechen abgenötigt, einmal auf ihrer Reise bei ihm einzusprechen. Und wie glücklich fügte es sich jetzt; sie, die beim Herrn alles galt, die er behandelte wie seine eigene Tochter und ihr alles zu Gefallen that, sie, nach deren Wink die ersten Chargen sich richten mußten, die, ohne daß man es merkte, an ganz geheimen Fäden das Land regierte, sie besuchte ihn.

Aber sie sollte auch gehalten werden, als wäre sie in ihrem eigenen Hause, daß sie recht viel Schönes und Gutes höheren Orts von ihm und seinem Hause sagen konnte. Kaum hatte sie geäußert, sie finde Idas Zimmer im ersten Stock so hübsch, so mußte das Fräulein das Feld räumen und in die zweite Etage wandern. Es kam dem Mädchen sauer an, als sie so die Plätze wechseln mußte, und in ihrem traurigen, ahnungsvollen Herzen wollte es ihr beinahe bedünken, als seie dies eine schlimme Vorbedeutung. Und es wahr ihr auch gar nicht zu verdenken; sie hatte das Fenster mit der Estrade so gerne gehabt, dort saß sie am liebsten, dort [151] las, dort arbeitete sie, sie durfte ja nur das Köpfchen ein wenig heben, den blauseidenen Vorhang nur ein wenig aufheben, nur einen kleinen Viertelsseitenblick hinüberwerfen, so sah sie ja auch schon ihn; und jetzt sollte sie der verhaßten Nebenbuhlerin, die ja offenbar nur gekommen war, um den Grafen in ihre Fesseln zu schlagen, jetzt sollte sie dem üppigen Weib, die gewiß alle Künste der Fensterkoketterie aufbieten werde, ihr heimliches Plätzchen am Fenster, ihr lauschiges Schlafstübchen abtreten und dafür, weiß Gott wie lange, in den weiten, unheimlichen Zimmern des oberen Stockes wohnen. Mit Seufzen richtete sie ihre kleine Haushaltung oben ein. Der Stickrahmen, die Staffelei, die Toilette, die paar Kistchen und Kästchen waren bald gestellt; jetzt setzte sie einen Stuhl ins Fenster, sie probierte, ob man nicht auch von da in den ersten Stock des Mondes hinabsehen könne; es ging wohl, aber sie sah nichts, als die Wolken seiner Gardinen, er mußte schon herausschauen, wenn sie ihn von diesem Platz aus zu Angesicht bekommen sollte, und das merkte sie schon, einen steifen Hals konnte sie sich füglich gucken, wenn sie immer das Köpfchen hinabbog; „doch was schadet das“, lächelte sie, „das thu’ ich ihm schon zu Gef–“

Mit einem Schrei des Entsetzens sprang sie auf; hatte sie recht gesehen, oder hatte ihr nur die Phantasie diese Gestalt – als sie von der Bel-Etage des Mondes zurückkehrte und ihr Blick zufällig an den Fenstern des zweiten Stockes vorbeistreifte, erblickte sie – „nein, was bin ich für ein Kind“, dachte sie, „wie wäre es möglich, was könnte er nur hier zu thun haben?“ Sie wagte noch einen Blick – richtig, der Rittmeister von Sporeneck lag geradeüber von ihr im Fenster und bückte und verbeugte sich herüber und that und lächelte so vertraut und so freundlich, als hätte er sie jahrelang gekannt.

Voll Unmut über den Unverschämten riß sie an der seidenen Schnur, welche den Store am Fenster emporhielt, und rauschend rollte der Vorhang zwischen sie und den verhaßten Lüstling. Dieser Mann war ihr der widerwärtigste auf der Erde; er war ein schöner, kräftiger Soldat, gebildet, von glänzendem Witz, angenehm in der Unterhaltung; er wußte den Bescheidenen zu spielen,

Anmerkungen (Wikisource)

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 150–151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_078.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)