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daß es sie reue, ihn so am Narrenseil geführt zu haben, daß sie sich schäme, so unverhofft demaskiert worden zu sein. Zuzeiten wünschte er sich auch den Hofrat herbei, um mit ihm über das Mädchen und seine grenzenlose Koketterie zu sprechen.

Daß doch die Männer gewöhnlich so grausam sind und nicht sehen, was so offen vor den Augen liegt! Sie lesen in Taschenbüchern und Romanen alle Folgen unglücklicher, verschmähter Liebe, alle Zeichen eines gebrochenen Herzens; sie können es sich auch in der Phantasie recht lebhaft vorstellen, wie ein gutes, liebes Engelskind mit einem vom Gram der Liebe gebrochenen Herzen aussehen müsse, sie nehmen sich vor, das nicht zu vergessen, aber wenn es drauf und dran kommt, wenn sie selbst aus Übermut oder thörichter Eifersucht ein schönes, nur für sie schlagendes Herz gekränkt, – geknickt, – gebrochen haben, da merken sie es nicht, sie können sogar noch ein recht ungläubiges Hohngelächter der Hölle aufschlagen, wenn man ihnen die stille Thräne im trüben Auge, den wehmütig ansprechenden Zug um den Mund zeigt, wenn man sie aufmerksam macht auf die immer bleicher werdenden Wangen; „das wird man seine Gründe haben“, lachen sie, und gehen ungerührt vorüber, und denken nicht, daß man auch ohne Doktor und Apotheker am gebrochenen Herzen sterben könne.

Die Eifersucht macht blind; nirgends schien dieser Ausspruch besser in Erfüllung zu gehen als hier bei Martiniz und Ida.

Für ihren thränenschweren Blick, für ihren wehmütigen Ernst wußte er tausend Gründe anzugeben, wußte sich mit wieder tausend Vermutungen zu quälen und zu härmen, die rechte fand er nicht. Es war eine wunderbare Veränderung vorgegangen mit diesem Mädchen in den paar Tagen. Sonst das Leben, die Fröhlichkeit selbst, jetzt ernst und abgemessen. Die bleicheren Wangen, das trübere Auge, das ja so deutlich von thränenvollen Nächten, von gramerfüllten Träumen sprach, wollte niemand verstehen, am wenigsten der, um welchen diese stillen Thränen flossen. Es war ihr oft zu Mut, als sollte sie nur eben die heißen, ausgeweinten Augen zuschließen und sich in das Grab legen lassen; dort, wenn die Erde so kühl um die vier Bretter und zwei Brettchen, welche die arme Ida umschließen, sich legen werde, dort, wo [161] sie nicht mehr gefoltert werde von dem Anblick, wie ihr geliebter Jüngling näher und näher, enger und enger in die Schlingen jener Sirene sich verwickele – dort, dachte sie, müsse es gut schlummern sein. Denn das war ihr ja das ärgste nicht, daß sie zurückgesetzt war, nicht daß sie es war, die er verließ, um sich dem Triumphzug der allgemeinen Siegerin anzuschließen, nicht das brach ihr das Herz; zwar, es hatte ihr Mühe und Thränen gekostet, bis sie es dahin gebracht hatte, daß sie nicht mit Bitterkeit daran dachte, daß er, als kaum das Geständnis seiner Liebe über seinen Lippen war, schon andern Sinnes sein konnte. Aber sie hatte überwunden, sie war tief in sich eingekehrt; aus den geheimnisvollen, unergründlichen Tiefen der heiligen jungfräulichen Brust hatte sie Mut heraufgeholt, um den Gedanken zu ertragen, daß der, den sie liebe, einer anderen angehören könne.

Aber dagegen sträubte sich mit aller Macht ihr keusches, bräutliches Herz, daß er jene, auf welche die Kinder in der Residenz mit Fingern deuteten und sich ihre Schandthaten erzählen, daß er an jene verloren gehen sollte. Wäre er ein Mann gewesen, der frech mit ihrem armen, unerfahrenen Herzchen gespielt hätte, sie hätte es ertragen, daß er bei der Gräfin dafür büßen sollte; aber Emil – ihr feiner, weiblicher Takt, der darin so weit und so scharf sieht, sagte ihr, daß er noch ein Neuling in der Liebe sei, daß er sein Herz frei bewahrt habe, bis sie ihn kennen gelernt habe, daß sie seine erste Neigung gewesen sei; und doch er, der so namenloses Unglück schon erduldet hatte, auch er sollte durch dieses Weib unglücklich werden? Ach, wie oft wünschte sie sich ihren alten Freund, den Hofrat, herbei. Ihm hätte sie alles, alles vertraut, auch jenen Augenblick der seligen Liebe, wo er ihr gestand, daß er sie liebe, wo er sie umschlang und an sein pochendes Herz drückte, wo er sie mit den süßesten Schmeichelnamen der Zärtlichkeit genannt, wo ihr Mund sich schon zum ersten, heiligen Kuß der Liebe ihm entgegengewölbt hatte. Dies alles war ja längst vorüber, war begraben, tief, tief in ihrem Herzen, mit aller Hoffnung, aller Sehnsucht, die es einst erweckt hatte; aber Berner durfte es wissen, ihm hätte sie alles gesagt und ihn dann zum warnenden Schutzgeist für den Grafen aufgerufen.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 160–161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_083.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)