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So lautete die Freudenepistel an den alten Onkel, worin die Errettung vom Wahnsinn gemeldet wurde. Die Freude wollte dem alten Diener beinahe die Herzkammerthüre zersprengen, bis er die Buchstaben alle aufs Papier gemalt hatte. Bisher hatte er allwöchentlich Bericht erstatten müssen. Da hatte es denn aus Italien, Frankreich, Holland, vom Genfer See, am Rhein, an der Seine und an der Nordsee immer geheißen: „Der Herr Graf befindet sich noch im alten Zustand.“ – „Die Krankheit scheint zuzunehmen.“ – „Die Ärzte wußten wieder nichts.“ – „Die Ärzte geben ihn auf.“

Hier in dem unscheinbaren Städtchen, hier endlich sollte das Heil, der Stern des Segens aufgehen. Er konnte sich die Freude des alten Herrn denken, der so ganz an Emil wie an einem Sohn hing; er sah schon im Geiste, wie der Herr Graf lächeln, die Hände reiben und rufen werde: „Nun, in Gotts Namen, macht Hochzeit!“

Aber jetzt mußte der Teufel ein Ei in die Wirtschaft gelegt haben, denn sein Herr – der sah gar nicht mehr so glücklich und selig aus wie damals, als jene Freudenbotschaft abging – er war niedergeschlagen, traurig; fragte der alte Brktzwisl, dem aus alten Zeiten eine solche Frage zustand, was ihm denn fehle, so erhielt er entweder gar keine Antwort, oder der Graf stöhnte so schmerzlich, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen und sagte dabei: „Du kannst mir doch nicht helfen, alte Seele!“

Es wollte ihm nun gar nicht recht gefallen; er klügelte hin und her, was es denn wohl sein könne, das seinen Herrn auf einmal so stutzig und trutzig mache – da ist ein Gast drüben bei Präsidents, eine große, dicke, so halb Jungfer, halb Frau, hat die vielleicht Unkraut gestr–

Ja, das konnte sein, das schien dem alten Brktzwisl sogar wahrscheinlich; wenn er aber dieser nachlief und das schöne Fräulein im Stich ließ – nein, er wollte seinem Herrn nichts Böses wünschen, aber da soll ihm doch das siedende Donnerwetter auf den Leib – er schlug zu diesem Gedanken so grimmig auf seines Herrn Rock zu, den er im Hausgang ausklopfte, daß der Staub in dichten Wolken umherflog. „Ja, da wollte ich“, rief er in seinem Selbstgespräch weiter und klopfte immer schrecklicher, „wenn [165] du die dicke Trutschel nimmst und das schöne Fräulein, die dich aus den Klauen des schwarzen Teufels herausklaubte, wenn du die fahren läßt, alles siedende Schwefelpech des Fegefeuers soll dich dann kreuzmillionenmal –“

„Wen denn?“ fragte eine tiefe Stimme hinter ihm. Er sah sich um und glaubte nun gleich in den Boden sinken zu müssen. Ein großer, ältlicher Mann mit feinen, klugen Gesichtszügen, in einem schlichten Reiseüberrock, dem nur ein vielfarbiges Band im Knopfloch einige Bedeutung gab, stand vor ihm. „Alle gute Geister!“ stammelte endlich Brktzwisl, indem er den Fremden noch immer mit weit aufgerissenen Augen anstarrte – „wie kommen Ew. Ex–“

„Halt’ jetzt dein Maul von dergleichen“, sagte der Herr mit dem Ordensband freundlich, „ich reise inkognito und brauche diesen Firlefanz nicht; wo ist dein Herr?“

Starr und stumm bückte sich der alte Diener mehrere Mal, führte dann den fremden Herrn den Korridor entlang zur Thüre seines Herrn, erwischte dort noch einen Rockzipfel, küßte diesen mit Inbrunst und sah zu seiner großen Herzensfreude, wie sein junger Herr mit einem Ausruf der Freude dem Fremden in die Arme sank.

Der Fremde war aber niemand anders als –. Doch gerade fällt uns ein, daß der Herr, wie er sich gegen Brktzwisl äußerte, „inkognito“ reiset, und es wäre daher auch von uns höchst indiskret, wenn wir dieses Inkognito früher verrieten, als der fremde Herr selbst für gut findet, es abzulegen.



Der Herr Inkognito.

Ein stiller, aber scharfer Beobachter erschien jetzt auf dem Schauplatz, es war der fremde Herr, den der Graf unter dem Namen eines Herrn von Ladenstein bei dem Präsidenten einführte. Die Empfehlung eines Hausfreundes, wie der Graf war, hätte schon hingereicht, ihn in diesem Hause willkommen zu machen; aber die vom Alter noch nicht gebeugte Gestalt des alten Herrn voll Würde und Anstand, sein sprechendes Gesicht, erwarben ihm

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 164–165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_085.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)