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Der alte Herr schien es aber nicht verstehen zu wollen; sein Auge nahm einen sonderbaren Ausdruck von forschendem Ernst an, der den Lieutenant unwillkürlich zum Schweigen brachte; der Kranke aber fuhr fort: „Laß dich nicht von diesen da forttreiben, lieber Sorben, du kannst mir jetzt einen großen Dienst erweisen. In meinem Zimmer ist ein Koffer, in diesem eine Kassette; laß dir von Schulderoff die Schlüssel geben und schließ auf. Dort findest du ein Strumpfband mit goldenem Schloß –“ er hielt inne, als ob er nachsänne, der Graf aber trat in der höchsten Spannung näher, um jedes Wörtchen zu verschlingen, das er sprechen würde. – „Und richtig, ‚Honny soit qui mal y pense‘[1] ist darauf gestickt. Das bringst du der Gräfin, sie hat den Kameraden dazu am linken Bein, und sagst, das sei das Band, um welches sie mir geschrieben habe, ich könne heute nicht selbst kommen. Ja – und weiter sage ihr, mit der Ida sei es nichts, ich habe es satt, dem spröden Ding die Kour zu schneiden, nur um das Gräfchen eifersüchtig – ja, halt, bei dem Grafen fällt mir ein, sage ihr, den Grafen soll sie mir in Ruhe lassen, er sei kein Ofenhocker, sondern ein braver Soldat, und wenn sie ihm ferner noch was anhaben wolle, so habe sie es mit mir zu thun.“

Erschöpft sank er auf die Kissen zurück, als er so gesprochen hatte. Schulderoff stand in einer Ecke und schalt sich selbst aus, so thöricht gehandelt zu haben und die Fremden in diesem kritischen Moment zu dem Rittmeister geführt zu haben. Gerne hätte er in seinem Unmut den beiden etwas Hartes gesagt, aber der Graf hatte ihm durch sein Betragen und seinen Stand, der alte Herr durch seine vielen und bedeutenden Ordenszeichen so imponiert, daß er nicht wagte, sich ihnen anders als mit der zuvorkommendsten Höflichkeit zu nahen. Die übrigen Dragoner waren aber von beiden ganz entzückt; in des Grafen Uniform verliebten sie sich ganz und gar, und wie geehrt und gehoben fühlten sie sich, daß ein Kommandeur der Ehrenlegion, ein alter Ritter des Theresienordens sie mit der größten Freundlichkeit „Herr Kamerad“ titulierte.

[183] Es dauerte aber keine fünf Minuten, so war auch Schulderoff ganz von dem Alten gewonnen. Dieser führte ihn nämlich in eine Ecke und machte ihm unter der Bedingung, daß er es nicht als Kränkung aufnehme, die Proposition, ob er nicht für den Rittmeister, der jetzt doch so entfernt vom Haus sei, ein kleines Anlehen von ihm annehmen wolle.

„Lieber Gott“, sagte er, „ich weiß, wie es in der Garnison ist; habe auch lange gedient; mit dem besten Willen bringt man es selten so weit, daß man immer einen großen Notpfennig in Bereitschaft hat. Einer muß immer dem andern aushelfen, und da ich jetzt gleichsam auch hier in Garnison liege, Herr Kamerad – ich denke, wir könnten darüber einig sein.“

Der herzliche Ton, mit welchem dies Anerbieten gemacht wurde, rührte den Lieutenant zu Thränen. Es konnte ihm nichts mehr zu statten kommen als ein solches Anlehen; er hatte kein Geld, die Mama hatte kein Geld, die Kameraden hatten auch kein Geld, und er wäre am Ende genötigt gewesen, sich an die Gräfin zu wenden, und doch war ihm diese in der tiefsten Seele zuwider, lieber hätte er sein Pferd verkauft – da kam ihm nun das Anerbieten des alten Kameraden sehr erwünscht; es war so natürlich und ehrenvoll angetragen, daß er ohne Bedenken einschlug, und von dieser Stunde an wäre er, und wenn ihn Frau Mama, Fräulein Sorben, die Gräfin und alle Höllengeister am Kollett[WS 1] gepackt hätten, für die beiden Fremden durchs Feuer gegangen.



Licht in der Finsternis.

„Nun, was sagst du zu dieser Geschichte?“ sprach der alte Herr zu Martiniz, als sie wieder in ihrem Zimmer waren; „was sagst du zu der schönen Strumpfbandgeschichte?“ – „Nun, was werde ich dazu sagen“, antwortete Emil nachdenklich, „daß er mit der Gräfin in einem sehr unanständigen Verhältnis steht. Aber erklären Sie mir nur, was plauderte er nur von einem alten Sorben und von einem Grafen, der die Gräfin Aarstein heiraten solle?“

„Das will ich dir schwarz auf weiß zeigen“, sagte jener und


  1. D. h. „Ein Schelm, wer Arges dabei denkt“, ist die Umschrift des englischen Hosenbandordens.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Uniformrock.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 182–183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_094.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)