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zog einen Pack Briefe hervor, den er Emil zur Durchsicht gab. Es waren jene Briefe, welche der alte Sorben an den älteren Grafen Martiniz geschrieben hatte, um womöglich eine Heirat zwischen Emil und der Aarstein zu bewirken. Immer eifriger las Emil, immer zorniger und düsterer wurden seine Züge, der alte Herr ging indessen auf und ab und betrachtete den Lesenden. Endlich sprang dieser auf und rief: „Nein, das ist zu arg! das ist nicht auszuhalten, mit mir ein solches Spiel spielen zu wollen! Was sagen Sie zu diesen Briefen, wie reimen Sie dies alles zusammen?“

Der alte Herr setzte sich zu Emil nieder, legte seine Hand zutraulich auf seine Schulter und sprach: „Ich habe dir letzthin gesagt, daß ich sechzig Jahre habe und du zwanzig, daß ich also auch manches kälter betrachte und darum schärfer als du. Schon damals ahnte ich manches, jetzt durch die Irrereden des Rittmeisters ist mir auf einmal alles klar. Daß dich in diesen Briefen die Gräfin durch den schlechten Kerl, den alten Sorben, zu angeln sucht, siehst du wohl ein; sie hört nun durch Kundschafter oder wie es sonst gegangen sein mag, du seiest hier und, wie du nicht leugnen kannst, in einem zärtlichen Verhältnis mit Ida. Daß der Gräfin daran lag, dich oder vielmehr dein Vermögen nicht hinauszulassen, kannst du dir denken. Daher kam sie eilends hieher, um dich zu erobern; dazu gehörte aber auch, daß sie Ida von deinem Herzen losriß, und wie konnte dies besser sein als durch den Rittmeister. Wie dieser mit der Gräfin stand, wissen wir aus dem Strumpfbandbillet, das also von ihr ist; wie er aber mit Idchen, dem keuschen, reinen Engel, stand – und hat er sein ganzes Leben hindurch gelogen, so war er wenigstens in seinem Wundfieber wahr – erinnerst du dich, daß er mir auftrug, der Gräfin zu sagen, daß mit dem spröden Mädchen nichts anzufangen sei? Da hast du jetzt den ganzen Plan, Freundchen, so und nicht anders verhalten sich die Sachen. Was sagst du nun dazu?“

Ganz versunken in Schmerz und Wehmut saß der Graf neben ihm. Er hatte sein Gesicht in das Taschentuch gedrückt und weinte heftig. „O Ida, wie tief habe ich dich beleidigt“, flüsterte er; [185] „was war ich für ein Thor, wie war ich so stockblind, um nicht gleich alles einzusehen. Wie war ich so grausam und konnte das gute, sanfte Engelskind, das mir so gut war, das mich so liebhatte, so tief kränken und beleidigen!“

Dem alten Herrn wurde angst und bange, Emil möchte, wenn die Reue sein Gemüt zu sehr angreife, wieder in seinen Wahnsinn verfallen, aus welchem ihn das Mädchen so wundervoll errettet hatte. „Solange man lebt, kann man alles wieder gut machen“, sagte er zu dem Weinenden, „und namentlich ist nichts leichter zu schlichten als kleine Katzbalgereien unter Liebenden. Sei darum getrost und glaube, es wird sich alles noch gut machen.“ Und nun setzte er dem Grafen auseinander, daß er sich sobald als möglich mit seinem Mädchen versöhnen müsse; aber dabei dürfe er nicht stehen bleiben; er zeigte ihm, wie viel er diesem Mädchen schuldig sei, wie sie ihn zuerst mit der Welt wieder ausgesöhnt habe, wie sie nachher erhaben über alle mögliche falsche Deutung, jenes unglückbringende Gespenst (seiner Phantasie) entfernt, wie sie mit unendlicher Freundschaft allem aufgeboten habe, ihn zu zerstreuen und zu erheitern. „Wahrlich“, schloß er, „diesem Mädchen bist du mehr schuldig, als daß du ihr den argen Verdacht mit dem Rittmeister abbittest – du bist, ich sage es offen, du bist ihr deine Hand schuldig, so sehr sich auch“, setzte er schalkhaft lächelnd hinzu, „so sehr sich auch dein Herz dagegen sträuben mag!“

Es hat selten ein geistlicher Witwentröster, wenn er auch noch mit zehnmal größerer Salbung sprach, mit so großem Effekt sein „Amen, gehe hin und thue also“ gesagt, als der alte Herr auf dem Sofa neben dem Grafen. Die Thränen waren schnell getrocknet von den glühenden Strahlen, die aus dem dunkeln Auge sprühten, ein holdes Lächeln spielte um seinen Mund, das ganze Gesicht war anmutig verklärt, er sprang auf, er ergriff die Hände des guten Alten und preßte sie an sein lautpochendes Herz, an die glühenden Lippen: „Oh, wie Herrliches verheißen Sie mir, Sie, Sie muntern mich dazu auf, wozu mich mein Herz schon lange zog; oh, wie kann ich Ihnen danken, mein väterlicher Freund, mein guter, teurer O–“ Doch halt, beinahe hätten wir das Inkognito des Herrn von Ladenstein gebrochen und Namen genannt

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 184–185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_095.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)