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sogleich ins Gebet nehmen und schmälen, wo denn die Herren heute alle bleiben, er aber gab ihr kurz zur Antwort, daß die Bewohner des Mondes und einige andere Herren auf der Jagd gewesen seien. Sie fragte sehr witzig, ob man doch keinen Bock geschossen habe, und wollte sterben vor Lachen über ihr eigenes Bonmot. Der Alte aber dachte: „Lache du nur immer zu, wenn du wüßtest, wie nahe dich der Bock angeht, der geschossen worden ist, du würdest nicht lachen; doch wer zuletzt lacht, lacht am besten!“

Er erinnerte Ida an ihr Versprechen, ihm ihre Zeichnungen und Malereien zu zeigen. Sie nickte freundlich ein Ja und flog vor ihm die Treppe hinan, daß er kaum folgen konnte. Es sah etwas kunterbunter in dem Zimmer aus, das sie, weil sie der Gräfin Platz machen mußte, einstweilen bewohnte. Sie entschuldigte sich daher bei dem alten Herrn: „Machen Sie doch nur keinen falschen Schluß auf meine Ordnungsliebe, lieber Ladenstein“, sagte sie, „aber die Gräfin hat uns aus aller Ordnung herausgejagt, und besonders mir kam sie gar nicht sehr geschickt, denn sie hat mich aus meinen vier Wänden, die ich so hübsch eingerichtet hatte, herausgejagt und nicht eher geruht, bis ich hier heraufzog.“

„So, das hat die Gräfin gewollt?“ sagte der Alte, dem es immer klarer aufging, daß jene ein falsches Spiel spiele; er schrieb es sich ad notam, um den Grafen noch mehr zu überzeugen. Sie schloß jetzt ihre Mappe auf und breitete ihren Schatz vor ihm aus. Der Alte vergaß auf einige Augenblicke, daß er ja dies alles nur als Vorwand gebrauchen wollte; er war Kenner und ein wenig streng gegen die gewöhnlichen Dilettantinnen in der Kunst; er konnte es nicht ausstehen, wenn man die grellsten, fehlerhaftesten Zeichnungen, wenn sie nur von einer schönen Hand waren, „wunderschön und genial gedacht“ fand; er hatte hundertmal gegen diese Allgemeinheit der Kunst geeifert, wodurch sie endlich so gemein würde, daß ein jeder Sudler ein Raffael oder jede Dame, die den Baumschlag ein wenig nachmachen konnte, ein Claude Lorrain[1] würde. Aber hier bekam er Respekt! Da war nichts übersudelt [189] oder schon als Skizze weggeworfen; nein, es war alles mit einem Fleiß behandelt, mit einer Sorgfalt ausgeführt, die man leider heutzutage selten mehr findet, und die man gerade an den größten Kunstwerken alter Meister so hochschätzen muß.

Des Mädchens thränenschwere Miene, die seit einiger Zeit sie selten verließ, heiterte sich unwillkürlich auf, als sie sich von einem so tiefen Kenner, als welcher der alte Herr sich zeigte, belobt, sogar bewundert fand; er stieß auf Kartons, zu denen sie sich als Urheberin bekannte, und sie waren alle meisterhaft, er wand das letzte Blatt in der Mappe um, und hielt überrascht inne; sie wollte ihm die Zeichnung entreißen, sie bat, sie flehte – es half nichts, es war ein zu bedeutendes Aktenstück, als daß er es hätte unbetrachtet aus den Händen gelassen. Es stellte eine ihm unbekannte Kirche vor, am Altar stand eine hohe, erhabene Figur – bei Gott, bis zum Sprechen ähnlich – Emil; der tiefe, wehmütige Ernst, der sonst in seinen Zügen lag, war herrlich aufgefaßt und wiedergegeben. Man fürchtete, wenn man in diese Züge sah, ein namenloses Unglück zu erfahren, das auf den feinen Lippen schwebte. Zur Seite standen zwei Männer, wovon er nur den einen kannte, es war der alte Brktzwisl; auch in diesem nichts weniger als malerischen Gesicht war die ehrliche Gutmütigkeit, die innige, ergebungsvolle Teilnahme an dem Schicksal seines Herrn trefflich ausgedrückt. Weiter im Hintergrund sah man zwei Figuren, die, weil sie im Schatten standen, kaum flüchtig angedeutet waren; doch glaubte er in der einen die Zeichnerin selbst zu erkennen. An dem Bilde war außer der Ähnlichkeit der Gesichter und der gelungenen Anordnung der Gruppen auch die Verteilung des Lichtes höchst genial ausgeführt; es war nämlich Nacht in der Kirche und die Helle ging nur von einer trübe brennenden Laterne aus, so daß nun die wunderherrlichen Licht- und Schattenpartien, das Verschweben der Helle im Dunkel auf ergreifende Weise angegeben war.

Die Zeichnung an sich hätte seine innigste Bewunderung erregt, aber er kannte auch gar wohl den Moment, der hier dargestellt war; er kannte die Gestalt, die sich so bescheiden ins Dunkel gestellt hatte: es war die Retterin seines geliebten Jünglings;


  1. Claude Lorrain (1600–82), eigentlich Claude Gelée, französischer Landschaftsmaler.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 188–189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_097.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)