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Idchen war es ganz schwindlig zu Mut; tausend Gedanken stiegen in ihr auf und nieder; sie hatten gar nicht alle recht Platz in dem Köpfchen und drängten und trieben sich daher wirbelnd um und um. Nur eines war ihr recht klar und deutlich, daß sie recht glücklich, unendlich glücklichselig sei, daß er sie gek–. Sie errötete vor dem Gedanken, und dennoch spitzte sie das Mäulchen und probierte es noch einmal im Geiste, wie sie es gemacht hatten, daß es so wundersüß schmeckte.

Nein, so ging es nicht, sie mußte sich zusammennehmen, ehe sie zur Gesellschaft ging; es war ihr, als sollte sie allen Menschen um den Hals fallen und ihnen ihr stilles Glück verkünden. So ging es nicht – da mußte man es gleich merken; sie stellte sich vor den deckenhohen Spiegel und probierte recht ernsthafte oder gleichgültige Gesichter, aber sie mochte es machen, wie sie wollte, immer guckte wieder ein lustiges Köpfchen mit einem spitzigen Mäulchen aus dem reinen, hellen Glas. Endlich schalt sie sich selbst recht aus, nannte sich einen Kindskopf, einen Wildfang und alles Mögliche, und siehe, da ging es endlich; mit dem gleichgültigsten Gesicht von der Welt trat sie wieder ins Zimmer und behielt zu ihrer eigenen Verwunderung die gleichgültige Miene, bis man sich verabschiedete.

Doch nein, einmal wäre sie beinahe herausgeplatzt, und sie hatte zu beißen und zu schlucken, daß kein Kichern hervorkam.

Die Gräfin beklagte sich noch einmal gegen die Sorben, die jetzt ihre Gesellschaftsdame spielte, daß der Graf heute sich gar nicht habe sehen lassen: „Das verzeihe ich ihm in den nächsten zwei Tagen nicht“, setzte sie preziös hinzu, indem sie die arme Ida dabei fixierte und dachte: „Die verberstet vor Neid“, während es nur unterdrücktes Lachen war, was dem lustigen Amorettenköpfchen um die Lippen zuckte – „wenn er morgen früh mich zu besuchen kommt, wird er nicht angenommen, nachmittags – nicht angenommen, und abends, nun da will ich ihm ein so saures Gesicht machen, daß er nicht mehr daran denkt, uns einen ganzen Tag zu negligieren.“

„Der arme Graf, wie ihn das mitnehmen wird!“ lächelte Fräulein von Sorben mit einem schadenfrohen Blick auf Ida.

[193] „Der arme Graf!“ dachte sie und lachte still in sich hinein; sie konnte sich denken, wie arg dieser schreckliche Vorsatz ihn angreifen werde.



Die Freiwerber.

Schon seit einer langen halben Stunde hatte am andern Morgen Ida an ihrem Fenster gelauscht. Um neun Uhr, ehe der Vater in die Session ginge, hatte Martiniz kommen wollen, um mit ihm zu sprechen, es war Viertel, er kam noch nicht. Daß der Vater ihn erwarten würde, wußte sie wohl, denn der Graf hatte sich anmelden lassen, aber sie fürchtete, der Präsident möchte übler Laune werden, wenn er so lange warten müsse. Ihr Herzchen pochte so ungeduldig, alle Augenblicke wechselte das Rot auf ihren Wangen, der bräutliche Busen flog auf und nieder voll banger Erwartung. Es kann aber auch für ein Mädchen keine erwartungsvollere Stunde geben als die, wenn der Geliebte zum Vater oder zur Mutter gehen will, um sein Mädchen anzuhalten. Freude und Angst, Besorgnis und frohe Hoffnung wechseln dann auf dem lieblichen Brautgesichtchen, ein tiefer Seufzer, wohl auch ein leises Gebet entsteigt dann dem kindlichen Herzen, das zum erstenmal geteilt ist zwischen der Anhänglichkeit an die Eltern und der Liebe zu dem, der sie zu seinem Frauchen machen will.

Zwar konnte Ida nicht zweifeln, daß der Vater diese Partie für sie sehr anständig finden würde, aber sie kannte ihn, wie er alles nach den Dienstverhältnissen abwog. Konnte er nicht aus Furcht vor der allerhöchsten Ungnade nein sagen, weil man in der Residenz den Grafen für eine Andere bestimmt hatte; und dann der Onkel des Grafen – sie hatte vom Hofrat gehört, daß es einen solchen gebe, einen ältlichen, etwas grämlichen Mann, von dem der Graf sehr abhängig sei; wird er auch seine Einwilligung geben? –

Auch vor der Gräfin war ihr bange. Zwar es lag kein geringer Triumph darin, die Gegnerin, die alle Höllenkünste aufgeboten hatte, Emils Herz von ihr abzureißen, überwunden zu haben, aber sie scheute sich doch beinahe ebensosehr vor dem Zorn der

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 192–193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_099.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)