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Calderon[1], Tieck[2], Scott, Cervantes[3] und auch ein Tempelhofer, haben freilich aus einem unerschöpflichen Schatz der Phantasie ihre Dichtungen hervorgebracht, und die unverwelklichen Blumensträuße, die sie gebunden, waren nicht in Nachbars Garten gepflückt, sondern sie stammten aus dem ewig grünen Paradies der Poesie, wozu nach der Sage Feen ihren Lieblingen den unsichtbaren Schlüssel in die Wiege legen. Daher kömmt es auch, daß durch eine geheimnisvolle Kraft alles, was sie gelogen haben, zur schönsten Wahrheit geworden ist.

Geringere Sterbliche, welchen jene magische Springwurzel, die nicht nur die unsichtbaren Wege der Phantasie erschließt, sondern auch die festen und undurchdringlichen Pforten der menschlichen Brust aufreißt, nicht zu teil wurde, müssen zu allerlei Notbehelf ihre Zuflucht nehmen, wenn sie – Novellen schreiben wollen. Denn das eben ist das Ärgerliche an der Sache, daß oft ihre Wahrheit als schlecht erfundene Lüge erscheint, während die Dichtung jener Feenkinder für treue, unverfälschte Wahrheit gilt.

So bleibt oft uns geringen Burschen nichts übrig, als nach einer Novelle zu spionieren. Kaffeehäuser, Restaurationen, italienische Keller u. dgl. sind für diesen Zweck nicht sehr zu empfehlen. Gewöhnlich trifft man dort nur Männer, und Sie wissen selbst, wie schlecht die Restaurationsmenschen erzählen. Da wird nur dies oder jenes Faktum schnell und flüchtig hingeworfen; reine Nebenbemerkungen, nichts Malerisches; ich möchte sagen, sie geben ihren Geschichten kein Fleisch, und wie oft habe ich mich geärgert, wenn man von einer Hinrichtung sprach, und dieser oder jener nur hinwarf „geköpft“, „hingerichtet“, statt daß man, wie bei ordentlichen Erzählungen gebräuchlich, den armen Sünder, [265] seinen Beichtvater, den roten Mantel des Scharfrichters, sein „blinkendes Schwert“ sieht, ja selbst die Luft pfeifen hört, wenn sein nerviger Arm den Streich führt.

Es gibt gewisse Weinstuben, wo sich ältere Herren versammeln und nicht gerne einen „jungen“, einen „fremden“ unter sich sehen. Diese pflegen schon besser zu erzählen; dadurch, daß sie diesen oder jenen Straßenraub, die geheimnisvolle, unerklärliche Flucht eines vornehmen Herren, einen plötzlichen Sterbefall, wobei man „allerlei gemunkelt“ habe, schon fünfzigmal erzählten, haben ihre Geschichten einen Schmuck, ein stattliches Kleid bekommen und schreiten ehrbar fürder, während die Geschichten der Restaurationsmenschen wie Schatten hingleiten. Solche Herren haben auch eine Art von historischer Gründlichkeit, und es gereicht mir immer zu hoher Freude, wenn einer spricht: „da bringen Sie mich auf einen sonderbaren Vorfall“, sich noch eine halbe Flasche geben läßt und dann anhebt: „In den siebziger Jahrgängen lebte in meiner Vaterstadt ein Kavalier von geheimnisvollem Wesen.“ Solche Herren trifft man allenthalben und sie werden von mehreren unserer neueren Novellisten stark benützt. Der bekannte ** versichterte mich, daß er einen ganzen Band seiner Novellen solchen alten Nachtfaltern verdanke, und erst aus diesem Geständnis konnte ich mir erklären, warum seine Novellen so steif und trocken waren; sie kamen mir nachher allesamt vor wie alte, verwelkte Junggesellen, die sich ihre Liebesabenteuer erzählen, welche sämtlich anfangen: „Zu meiner Zeit.“

Die ergiebigste Quelle aber für Novellisten unserer Art sind Frauen, die das fünfundsechzigste hinter sich haben. Die Welt nennt Medisance[WS 1], was eigentlich nur eine treffliche Weise zu erzählen ist: junge Mädchen von sechzehn, achtzehn pflegen mit solchen Frauen gut zu stehen und sich wohl in acht zu nehmen, daß sie ihnen keine Blöße geben, die sie in den Mund der alten Novellistinnen bringen könnte; Frauen von dreißig und ihre Hausfreunde gehen lieber eine Ecke weiter, um nicht ihren Gesichtskreis zu passieren, oder wenn sie der Zufall mit der Jugendfreundin ihrer seligen Großmutter zusammenführt, pflegen sie das gute Aussehen der Alten zu preisen und hören geduldig ein


  1. Don Pedro Calderon de la Barca (1600–1681), der berühmte spanische Dramatiker.
  2. Von Ludwig Tieck (1773–1853), dem Haupt der romantischen Schule, ist eine vollständige Sammlung seiner Novellen in 12 Bänden, Berlin 1852–53, erschienen.
  3. Miguel de Cervantes-Saavedra (1547–1616), der Verfasser des „Don Quichotte“.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Medisance: boshafte Bemerkung
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 264–265. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_135.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)