Seite:De Wilhelm Hauff Bd 3 140.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Armen, die feurigen Augen halb zugedrückt, den Mund eingepreßt, in tiefer Betrachtung vor dem Bilde.

Man erinnerte ihn, daß der Prinz bereits die Treppe hinabsteige, doch der alte Mann schien in diesem Augenblicke nur für eines Sinn zu haben. Er fragte, wie dies Bild hieher gekommen sei? Man sagte ihm, daß es von einem berühmten Meister vor mehreren hundert Jahren gefertigt und durch Zufall in die Hände der jetzigen Eigentümer gekommen sei.

„O Gott, nein!“ antwortete er. „Das Bild ist neu, nicht hundert Jahre alt; woher, sagen Sie, woher? O, ich beschwöre Sie, wo kann ich sie finden?“

Der Mann war alt und sah zu ehrwürdig aus, als daß man diesen Ausbruch des Gefühls hätte lächerlich finden können; doch als er dieselbe Behauptung wieder hörte, daß das Bild alt und wahrscheinlich von Lukas Cranach selbst gemalt sei, da schüttelte er bedenklich den Kopf.

„Meine Herren“, sprach er und legte beteurend die Hand aufs Herz; „meine Herren, Don Pedro di San Montanjo Ligez hält Sie für ehrenwerte Leute. Sie sind nicht Gemäldeverkäufer und wollen mir dies Bild nicht als alt verkaufen, ich darf durch Ihre Güte diese Bilder sehen, und Sie genießen die Achtung dieser Provinz. Aber es müßte mich alles täuschen oder – ich kenne die Dame, die jenes Bild vorstellt.“ Mit diesen Worten schritt er, ehrerbietig grüßend, aus dem Zimmer.

„Wahrhaftig!“ sagte einer der Eigentümer der Galerie, „wenn wir nicht so genau wüßten, von wem dieses Bild gemalt ist, und wann und wie es in unsern Besitz kam, und welche lange Reihe von Jahren es vorher in C. hing, man wäre versucht, an dieser Dame irre zu werden. Scheint nicht selbst den jungen Fröben irgend eine Erinnerung beinahe täglich vor dieses Bild zu treiben, und dieser alte Don, blitzte nicht ein jugendliches Feuer aus seinen Augen, als er gestand, daß er die Donna kenne, die hier gemalt ist? Sonderbar, wie oft die Einbildung ganz vernünftigen Menschen mitspielt; und mich müßte alles täuschen, wenn der Portugiese zum letztenmal hier gewesen wäre.“


[275]

3.

Und es traf ein; kaum war die Galerie am folgenden Vormittag geöffnet worden, trat auch schon Don Pedro di San Montanjo Ligez festen, erhabenen Schrittes ein, strich an der langen Bilderreihe vorüber nach jenem Zimmer hin, wo die Dame mit dem Federhute aufgestellt war. Es verdroß ihn, daß der Platz vor dem Bilde schon besetzt war, daß er es nicht allein und einsam, Zug für Zug mustern konnte, wie er so gerne gethan hätte. Ein junger Mann stand davor, blickte es lange an, trat an ein Fenster, sah hinaus nach dem Flug der Wolken und trat dann wieder zu dem Bilde. Es verdroß den alten Herrn etwas; doch – er mußte sich gedulden.

Er machte sich an andern Bildern zu schaffen, aber, erfüllt von dem Gedanken an die Dame, drehte er alle Augenblicke den Kopf um, zu sehen, ob der junge Herr noch immer nicht gewichen sei, aber er stand wie eine Mauer, er schien in Betrachtung versunken. Der Spanier hustete, um ihn aus den langen Träumen zu wecken; jener träumte fort; er scharrte etwas weniges mit dem Fuß auf dem Boden, der junge Mann sah sich um, aber sein schönes Auge streifte flüchtig an dem alten Herrn vorüber und haftete dann von neuem auf dem Gemälde.

„San Pedro! San Jago di Capostella!“[1] murmelte der Alte, „welch langweiliger, alberner Dilettante!“ Unmutig verließ er das Zimmer und die Galerie, denn er fühlte, heute sei ihm schon aller Genuß benommen durch Verdruß und Ärger. Hätte er doch lieber gewartet! Den Tag nachher war die Galerie geschlossen, und so mußte er sich achtundvierzig lange Stunden gedulden, bis er wieder zu dem Gemälde gehen konnte, das ihn in so hohem Grade interessierte. Noch ehe die Glocken der Stiftskirche völlig zwölf Uhr geschlagen, stieg er mit anständiger Eile die Treppe hinan, hinein in die Galerie, dem wohlbekannten Zimmer zu


  1. San Jago di Compostela ist die Hauptstadt des spanischen Galicien und besuchter Wallfahrtsort. In der Kathedrale derselben soll der Leib des Apostels Jakobus (San Jago) begraben liegen.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 274–275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_140.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)