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„Und warum?“

„Ich will es sagen, auch auf die Gefahr hin, daß Sie mir böse werden. Es ist ein schöner Zug der neueren Zeit, daß man in den größeren Zirkeln eingesehen hat, daß das Spiel eigentlich nur eine Schulkrankheit oder ein modischer Deckmantel für Geistesarmut sei. Man hat daher Whist, Boston, Faro und dergleichen den älteren Herren und einigen Damen überlassen, die nun einmal die Konversation nicht machen können. In Frankreich freilich spielen in Gesellschaft Herren von zwanzig bis dreißig Jahren; es sind aber nur die armseligen Wichte, die sich nach einem englischen Dandy gebildet haben oder die selbst fühlen, daß ihnen der Witz abgeht, den sie im Gespräch notwendig haben müßten. Seitdem man nun, seien die Zirkel groß oder klein, die sogenannte Konversation macht, das heißt, sich um das Kamin oder in Deutschland um den Sofa pflanzt, Thee dazu trinkt und ungemein geistreiche Gespräche führt, sind die Frauen offenbar aus ihrem rechten Geleise gekommen.“

„Bitte, Sie sind doch gar zu strenge, wie sollten denn –“

„Lassen Sie mich ausreden“, fuhr Fröben eifrig fort, indem er, ohne es zu wissen, die Hand der schönen Frau in seine Hände nahm. „Eine Dame der sogenannten guten Gesellschaft empfängt jede Woche Abendbesuche bei sich; sechsmal in der Woche gibt sie solche heim. In solchen Gesellschaften tanzt höchstens das junge Volk einigemal, außer es wäre auf großen Bällen, die schon seltener vorkommen. Der übrige Kreis, Herren und Damen, unterhält sich. Es gibt nun ungemein gebildete, wirklich geistreiche Männer, die im Männerkreise stumm und langweilig, vor Damen ungemein witzig und sprachselig sind und einen Reichtum sozialer Bildung, allgemeiner Kenntnisse entfalten, die jeden staunen machen. Es ist nicht Eitelkeit, was diese Männer glänzend oder beredt macht, es ist das Gefühl, daß das Interessantere ihres Wissens sich mehr für Frauen als für Männer eignet, die mehr systematisch sind, die ihre Forderungen höher spannen.“

„Gut, ich kann mir solche Männer denken, aber weiter.“

„Durch solche Männer bekommt das Gespräch Gestaltung, Hintergrund, Leben; Frauen, besonders geistreiche Frauen, werden [305] sich unter sich bei weitem nicht so lebendig unterhalten, als dies geschieht, wenn auch nur ein Mann gleichsam als Zeuge oder Schiedsrichter dabeisitzt. Indem nun durch solche Männer allerlei Witziges, Interessantes auf die Bahn gebracht wird, werden die Frauen unnatürlich gesteigert. Um doch ein Wort mitzusprechen, um als geistreich, gebildet zu erscheinen, müssen sie alles aufbieten, gleichsam alle Hahnen ihres Geistes aufdrehen, um ihren reichlichen Anteil zu der allgemeinen Gesprächflut zu geben, in welcher sich die Gesellschaft badet. Doch, verzeihen Sie, dieser Fonds ist gewöhnlich bald erschöpft; denken Sie sich, einen ganzen Winter sieben Abende geistreich sein zu müssen, welche Qual!“

„Aber nein, Sie machen es auch zu arg, Sie übertreiben –“

„Gewiß nicht; ich sage nur, was ich gesehen, selbst erlebt habe. Seit in neuerer Zeit solche Konversation zur Mode geworden ist, werden die Mädchen ganz anders erzogen als früher; die armen Geschöpfe! Was müssen sie jetzt nicht alles lernen vom zehnten bis ins fünfzehnte Jahr. Geschichte, Geographie, Botanik, Physik, ja sogenannte höhere Zeichenkunst und Malerei, Ästhetik, Litteraturgeschichte, von Gesang, Musik und Tanzen gar nichts zu erwähnen. Diese Fächer lernt der Mann gewöhnlich erst nach seinem achtzehnten, zwanzigsten Jahre recht verstehen; er lernt sie nach und nach, also gründlicher; er lernt manches durch sich selbst, weiß es also auch besser anzuwenden, und tritt er im dreiundzwanzigsten oder später noch in diese Kreise, so trägt er, wenn er nur halbwegs einige Lebensklugheit und Gewandtheit hat, eine große Sicherheit in sich selbst. Aber das Mädchen? Ich bitte Sie! Wenn ein solches Unglückskind im fünfzehnten Jahr, vollgepfropft mit den verschiedenartigsten Kenntnissen und Kunststücken, in die große Welt tritt, wie wunderlich muß ihm da alles zuerst erscheinen! Sie wird, obgleich ihr oft ihr einsames Zimmer lieber wäre, ohne Gnade in alle Zirkel mitgeschleppt, muß glänzen, muß plappern, muß die Kenntnisse auskramen und – wie bald wird sie damit zu Rande sein! Sie lächeln? Hören Sie weiter. Sie hat jetzt keine Zeit mehr, ihre Schulkenntnisse zu erweitern; es werden bald noch höhere Ansprüche an sie gemacht. Sie muß

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 304–305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_155.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)