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hat, so gilt sie nicht für vornehm; ohnmächtig werden gehört zum guten Ton; der Teufel hat diese verrückten Einrichtungen erfunden. Und auch daher kömmt es, daß man nichts mehr beim rechten Namen nennen darf. Alles soll so überaus zart, dezent, fein, manierlich hergehen, daß man darüber aus der Haut fahren möchte. Da hat sie sich jetzt alteriert, daß ich einigen Scherz riskierte, was doch die Würze der Gesellschaft ist; daß ich über dergleichen zarte, feingefühlige Geschichten nicht außer mir kam vor Rührung und Schmerz und mir einige praktische Konjekturen erlaubte. Was da! Unter Freunden muß dergleichen erlaubt sein! Und ich hätte dich für gescheuter gehalten, Freund Fröben, als daß du nur dergleichen übelnehmen könntest.“

Aber der, an den der Baron den letztern Teil seiner Rede richtete, war längst nicht mehr unter den Gästen, Fröben war auf sein Zimmer gegangen im Unmut, im Groll auf sich und die Welt. Noch konnte er sich diesen sonderbaren Auftritt nicht ganz enträtseln, seine Seele, halb noch aufgeregt von dem Zorn über die Roheit des Freundes, halb ergriffen von dem Schrecken über den Unfall der Freundin, war noch zu voll, zu stürmisch bewegt, um ruhigeren Gedanken und der Überlegung Raum zu geben. „Wird auch sie mir nicht glauben?“ sprach er kummervoll zu sich, „wird auch sie den schnöden Worten ihres Gatten mehr Gewicht geben, als der einfachen ungeschmückten Wahrheit, die ich erzählte? Was bedeuten jene seltsamen Blicke, womit sie mich während meiner Erzählung zuweilen ansah? Wie konnte sie diese Begebenheit so tief ergreifen, daß sie erbleichte, zitterte? Sollte es denn wirklich wahr sein, daß sie mir gut ist, daß sie innigen Anteil an mir nimmt, daß sie verletzt wurde von dem Hohn des Freundes, der mich so tief in ihren Augen herabsetzen mußte? Und was wollte sie denn, als sie aufstand, als sie sprechen wollte? Wollte sie den unschicklichen Reden Faldners Einhalt thun, oder wollte sie mich sogar verteidigen?“

Er war unter diesen Worten heftig im Zimmer auf und ab gegangen, sein Blick fiel jetzt auf die Rolle, die jenes Bild enthielt, er rollte es auf, er sah es bitter lächelnd an. „Und wie konnte ich mich auch von einem Gefühl der Beschämung hinreißen [351] lassen, mein Herz Menschen aufzuschließen, die es doch nicht verstehen, von Dingen zu reden, die solch überaus vornehmen Leuten so fremd sind; das Schlechte, das Gemeine ist ihnen ja lieber, scheint ihnen natürlicher als das Außerordentliche; wie konnte ich von deinen lieben Wangen, von deinen süßen Lippen zu diesen Puppen sprechen? O du armes, armes Kind, wieviel edler bist du in deinem Elend als diese Fuchsjäger und ihr Gelichter, die wahren Jammer und verschämte Armut nur vom Hörensagen kennen und jede Tugend, die sich über das Gemeine erhebt, als Märchen verlachen! Wo du jetzt sein magst? Und ob du des Freundes noch gedenkst und jener Abende, die ihn so glücklich machten!“

Seine Augen gingen über, als er das Bild betrachtete, als er bedachte, welch bitteres Unrecht die Menschen heute diesem armen Wesen angethan. Er wollte seine Thränen unterdrücken, aber sie strömten nur noch heftiger. Es gab eine Stelle in der Brust des jungen Mannes, wohin, wie in ein tiefes Grab, sich alle Wehmut, alle zurückgedrängten Thränen des Grames still und auf lange versammelten; aber Momente wie dieser, wo die Schmerzen der Erinnerung und seine Hoffnungslosigkeit so schwer über ihn kamen, sprengten die Decke dieses Grabes und ließen den langverhaltenen Kummer um so mächtiger überströmen, je mehr sein gebrochener Mut in Wehmut überging.


28.

Fröben überdachte am andern Morgen die Vorfälle des gestrigen Tages und war mit sich uneinig, ob er nicht lieber jetzt gleich ein Haus verlassen sollte, wo ihn ein längerer Aufenthalt vielleicht noch öfter solchen Unannehmlichkeiten aussetzte, als die Thüre aufging und der Baron niedergeschlagen und beschämt hereintrat. „Du bist gestern abend nicht zu Tisch gekommen, du hast dich heute noch nicht sehen lassen“, hub er an, indem er näher kam, „du zürnst mir; aber sei vernünftig und vergib mir; siehe, es ging mir wunderlich; ich hatte den Tag über zu viel Wein getrunken, war erhitzt, und du kennst meine schwache Seite, da kann

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 350–351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_178.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)