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glauben Sie denn, so viel Edelmut müsse nicht tiefen Eindruck auf ein Mädchenherz von siebzehn Jahren machen, und in allen ihren Äußerungen, die Sie uns erzählten, liegt, es müßte mich alles trügen, oder es liegt gewiß ein bedeutender Grad von Liebe darin.“

Der junge Mann schien mit Entzücken auf ihre Worte zu lauschen. „Wie oft rief ich mir dies selbst zu“, sprach er, „wenn ich so ganz ohne Trost war und traurig in die Vergangenheit blickte; aber wozu denn? Vielleicht nur, um mich noch unglücklicher zu machen! Ich habe oft mit mir selbst gekämpft, habe im Gewühl der Menschen Zerstreuung, im Drang der Geschäfte Betäubung gesucht, es wollte mir nie gelingen. Immer schwebte mir jenes holde, unglückliche Wesen vor; mein einziger Wunsch war, sie nur noch einmal zu sehen. Es ist noch jetzt mein Wunsch, ich darf es Ihnen gestehen, denn Sie wissen mein Gefühl zu würdigen; auch diese Reise unternahm ich nur, weil meine Sehnsucht mich hinaustrieb, sie zu suchen, sie noch einmal zu sehen. Und wie ich denn so recht über diesen Wunsch nachdenke, so finde ich mich sogar oft auf dem Gedanken, sie auf immer zu besitzen! – Sie blicken weg, Josephe? O, ich verstehe; Sie denken, ein Geschöpf, das so tief im Elend war, dessen Verhältnisse so zweideutig sind, dürfe ich nie wählen; Sie denken an das Urteil der Menschen; an alles dies habe auch ich recht oft gedacht, aber so wahr ich lebe, wenn ich sie so wiederfände, wie ich sie verlassen, ich würde niemand als mein Herz fragen. Würden Sie mich denn so strenge beurteilen, Josephe?“

Sie antwortet ihm nicht; noch immer abgewandt, ihre Stirne in die Hand gestützt, bot sie ihm ein Buch hin und bat ihn, vorzulesen. Er ergriff es zögernd, er sah sie fragend an; es war das einzige Mal, daß er sich in ihr Betragen nicht recht zu finden wußte; aber sie winkte ihm, zu lesen, und er folgte, wiewohl er gerne noch länger sein Herz hätte sprechen lassen. Er las von Anfang zerstreut; aber nach und nach zog ihn der Gegenstand an, entführte seine Gedanken mehr und mehr dem vorigen Gespräch und riß ihn endlich hin, so, daß er im Fluß der Rede nicht bemerkte, wie die schöne Frau ihm ein Angesicht voll Wehmut zuwandte, daß ihre Blicke voll Zärtlichkeit an ihm hingen, daß [355] ihr Auge sich oft mit Thränen füllen wollte, die sie nur mühsam wieder unterdrückte. Spät erst endete er, und Josephe hatte sich so weit gefaßt, daß sie mit Ruhe über das Gelesene sprechen konnte; aber dennoch schien es dem jungen Mann, als ob ihre Stimme hie und da zittere, als ob die frühere gütige Vertraulichkeit, die sie dem Freund ihres Gatten bewiesen, gewichen sei; er hätte sich unglücklich gefühlt, wenn nicht jener leuchtende Strahl eines wärmeren Gefühles, der aus ihrem Auge hervorbrach, ihn an seiner Beobachtung irre gemacht hätte.


29.

Da der Baron erst bis Abend zurückkehren wollte, Josephe sich aber nach dieser Vorlesung in ihre Zimmer zurückgezogen hatte, so beschloß Fröben, um diesen quälenden Gedanken auf einige Stunden wenigstens zu entgehen, die heiße Mittagszeit vor der Tafel zu verschlafen. In jener Laube, die ihm durch so manche schöne Stunde, die er mit der liebenswürdigen Frau hier zugebracht, wert geworden war, legte er sich auf die Moosbank und entschlief bald. Seine Sorgen hatte er zurückgelassen, sie folgten ihm nicht durch das Thor der Träume; nur liebliche Erinnerungen verschmolzen und mischten sich zu neuen reizenden Bildern; das Mädchen aus der St. Severinstraße mit ihrer schmelzenden Stimme schwebte zu ihm her und erzählte ihm von ihrer Mutter; er schalt sie, daß sie so lange auf sich habe warten lassen, da er doch ja den ersten und fünfzehnten gekommen sei; er wollte sie küssen zur Strafe, sie sträubte sich, er hob den Schleier auf, er hob das schöne Gesichtchen am Kinn empor, und siehe – es war Don Pedro, der sich in des Mädchens Gewänder gesteckt hatte, und Diego, sein Diener, wollte sich totlachen über den herrlichen Spaß. – Dann war er wieder mit einem kühnen Sprung der träumenden Phantasie in Stuttgart in jener Gemäldesammlung. Man hatte sie anders geordnet, er durchsuchte vergebens alle Säle nach dem teuren Bilde, es war nicht zu finden, er weinte, er fing an zu rufen und laut zu klagen; da kam der Galeriediener herbei und bat ihn, stille zu sein und die Bilder

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 354–355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_180.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)