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Jud Süß.


 „Ein ernstes Spiel wird euch vorübergehen,
 Der Vorhang hebt sich über einer Welt,
 Die längst hinab ist in der Zeiten Strom,
 Und Kämpfe, längst schon ausgekämpfte, werden
 Vor euren Augen stürmisch sich erneun.“
 L. Uhland.[1]

1.

Das Karneval war nie in Stuttgart mit so großem Glanz und Pomp gefeiert worden als im Jahr 1737. Wenn ein Fremder in diese ungeheuern Säle trat, die zu diesem Zwecke aufgebaut und prachtvoll dekoriert waren, wenn er die Tausende von glänzenden und fröhlichen Masken überschaute, das Lachen und Singen der Menge hörte, wie es die zahlreichen Fanfaren der Musikchöre übertönte, da glaubte er wohl nicht in Württemberg zu sein, in diesem strengen, ernsten Württemberg, streng geworden durch einen eifrigen, oft ascetischen Protestantismus, der Lustbarkeiten dieser Art als Überbleibsel einer andern Religionspartei haßte; ernst, beinahe finster und trübe durch die bedenkliche Lage, durch Elend und Armut, worein es die systematischen Kunstgriffe eines allgewaltigen Ministers gebracht hatten.

Der prachtvollste dieser Freudentage war wohl der zwölfte Februar, an welchem der Stifter und Erfinder dieser Lustbarkeiten und so vieles andern, was nicht gerade zur Lust reizte, der [381] Jud Süß[2], Kabinettsminister und Finanzdirektor, seinen Geburtstag feierte. Der Herzog hatte ihm Geschenke aller Art am Morgen dieses Tages zugesandt; das Angenehmste aber für den Kabinettsminister war wohl ein Edikt, welches das Datum dieses Freudentages trug, ein Edikt, das ihn auf ewig von aller Verantwortung wegen Vergangenheit und Zukunft freisprach. Jene unzähligen Kreaturen jeden Standes, Glaubens und Alters, die er an die Stelle besserer Männer gepflanzt hatte, belagerten seine Treppen und Vorzimmer, um ihm Glück zu wünschen, und manchen ehrliebenden biedern Beamten trieb an diesem Tage die Furcht, durch Trotz seine Familie unglücklich zu machen, zum Handkuß in das Haus des Juden.

Dieselben Motive füllten auch abends die Karnevalssäle. Seinen Anhängern und Freunden war es ein Freudenfest, das sie noch oft zu begehen gedachten; Männer, die ihn im stillen haßten und öffentlich verehren mußten, hüllten sich zähneknirschend in ihre Dominos und zogen mit Weib und Kindern zu der prachtvollen Versammlung der Thorheit, überzeugt, daß ihre Namen gar wohl ins Register eingetragen und die Lücken schwer geahnet würden; das Volk aber sah diese Tage als Traumstunden an, wo sie im Rausch der Sinne ihr drückendes Elend vergessen könnten; sie berechneten nicht, daß die hohen Eintrittsgelder nur eine neue indirekte Steuer waren, die sie dem Juden entrichteten.

Der Glanzpunkt dieses Abends war der Moment, als die Flügelthüren aufflogen, eine erwartungsvolle Stille über der Versammlung lag und endlich ein Mann von etwa vierzig Jahren, mit auffallenden, markierten Zügen, mit glänzenden, funkelnden Augen, die lebhaft und lauernd durch die Reihen liefen, in


  1. Erste Strophe aus dem Prolog zu dem Trauerspiel „Ernst, Herzog von Schwaben“.
  2. Unter der Regierung des Herzogs Karl Alexander (1733–37) erlangte seit 1733 der zum Geheimen Finanzrat erhobene jüdische Geldagent Joseph Süß-Oppenheimer (geb. 1692 zu Heidelberg) großen Einfluß auf seinen Herrn und die Regierungsgeschäfte. Mit rücksichtsloser Gewalt erpreßte er überall Geld im Lande für die üppige Hofhaltung des Herzogs und nicht minder für seinen eignen Beutel. Zur Erreichung seiner Zwecke scheute er keine Mittel; Kirchen- und Staatsämter wurden verschachert, die Münze verschlechtert und dergleichen mehr. Eine von ihm angelegte Verschwörung zur Katholisierung des protestantischen Landes vereitelte der plötzliche Tod des Herzogs (12. März) und seine eigne Gefangennahme (am 14. Mai). Jud Süß wurde auf den Asperg gebracht, zum Tode verurteilt und am 4. Februar 1738 in einem eisernen Käfig an den Galgen gehängt.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 380–381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_193.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)