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den Saal trat. Er trug einen weißen Domino, einen weißen Hut mit purpurroten Federn, auf welchen er die schwarze Maske nachlässig gesteckt hatte; es war nichts Prachtvolles an ihm, als ein ungewöhnlich großer Solitär[1], welcher am Hals die purpurrote Bajute[2] von Seidenflor, die über den Domino hinabfiel, zusammenhielt. Er führte eine schlanke, zartgebaute Dame, die, in ein mit Gold und Steinen überladenes orientalisches Kostüm gekleidet, aller Augen auf sich zog.

„Der Herr Finanzdirektor, der Herr Minister“, flüsterte die Menge, als er vornehm grüßend durch die Reihen ging, die sich ihm willig öffneten, und als er in der Mitte des Hauptsaales angekommen war, begrüßten ihn Trompeten und Pauken, und ein nicht unbeträchtlicher Teil der Masken klatschte ihm Beifall, während man andere wie von einem unzüchtigen Schauspiele sich abwenden sah. Aber allgemein schien die Teilnahme, womit man die schöne Orientalin betrachtete, die mit dem Minister gekommen war. Seine Lebensweise war zu bekannt, als daß nicht die meisten unter der Larve der reich geschmückten Dame eine seiner Freundinnen geahnet hätten, nur darüber schien man uneinig, welcher von diesen solche Auszeichnung zu teil geworden sei; die eine schien zu klein für diese Figur, die andere zu korpulent für diese zierliche Taille, die dritte zu schwerfällig, um so leicht und beinahe schwebend über den Boden zu gleiten, und einer vierten, bei welcher man endlich stille stehen wollte, konnte nicht dieses glänzend schwarze Haar, das in reichen Locken um den stolzen Nacken fiel, nicht dieses herrliche, dunkle Auge gehören, das man aus der Maske hervorleuchten sah.

Die Menge pflegt, wenn ihre Neugier nicht sogleich befriedigt wird, bei Gelegenheiten von so glänzender und rauschender Art, wie dieser Karneval war, nicht lange bei einem Gegenstand stille zu stehen. „Wenn sie die Maske abnimmt, wird man ja sehen“, sprach man, ohne der Dame noch längere Aufmerksamkeit zu schenken, als nötig war, um zu bemerken, wie sie zum [383] Menuett antrat. Aber drei junge Männer, die müßig hinter den Reihen der Tanzenden standen, schienen diese Erscheinung noch immer unablässig zu verfolgen.

„Wer sie nur sein mag!“ rief der eine ungeduldig; „ich wollte gern dem verzweifelten Juden fünfzig Eintrittskarten abkaufen, wenn er mir sagte, woher dieses Mädchen kommt, das er wie eine Fürstin in den Saal führte.“

„Herr Bruder!“ erwiderte der zweite, indem er unter dem Sprechen kein Auge von der Orientalin abwandte, „Herr Bruder, parole d’honneur![WS 1] diese Widersprüche kann ich nicht vereinigen, und wenn ich bei Cartesius[3] selbst die Logik samt dem cogito, ergo sum studiert hätte; eine so ungewöhnlich feine Gestalt, diese Haltung, diese nach den neuesten und vornehmsten Regeln abgemessene Bewegung, diese Art, das Handgelenk rund und spielend zu bewegen, wie ich sie nur in den bedeutendsten Zirkeln zu Wien und Paris sah, dieser Anstand, womit sie den Nacken trägt“ –

„Gott verdamm’ mich, du hast recht, Herr Bruder“, unterbrach ihn der dritte, „dieses alles und – mit Süß auf den Ball zu kommen! Nein, ein solcher Kontrast ist mir in meinem Leben nicht vorgekommen!“

„Aus unserer Bekanntschaft“, fuhr der erste fort, „aus unsern Kreisen kann sie nicht sein; denn wenn es auch wahr ist, was man flüstert, daß schon mancher elende Kerl von einem Vater seine Tochter mit einer Bittschrift zum Juden schickte, so laut läßt keiner seine Schande werden, daß er sein leibliches Kind mit dieser Mazette[4] auf den Ball schickt!“

„Bitte dich ums Himmelswillen, Herr Bruder, nicht so laut, er hat überall seine Spione, und uns ist er ohnedies nicht grün; denk’ an deine Familie. Willst du dich unglücklich machen? Aber wahr ist’s, es kann kein Mädchen aus bessern Ständen sein, und doch ist ihr Wesen für eine Bürgerstochter zu anständig. Doch halt, wer ist der Sarazene, der dort auf uns zukommt? Die


  1. Vom latein. solitarius, d. i. ein einzeln gefaßter Brillant.
  2. Großer Kragen an dem unter dem Namen „Domino“ bekannten Maskenanzug.
  3. Renatus Cartesius oder René Descartes (1596–1650), berühmter französischer Philosoph, dessen Lehre in dem Satze gipfelt: „Cogito, ergo sum.“
  4. (franz.) Schimpfwort, d. h. Schindmähre.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Ehrenwort
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 382–383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_194.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)