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einander an, und keiner schien zu wissen, ob er recht gehört habe oder wie er dies alles deuten solle? „Hat denn der Jude eine Schwester?“ fragte Pinassa.

„Man sprach vor einiger Zeit davon, daß er eine Schwester zu sich genommen habe, doch hielt man sie für noch ganz jung, weil sie sich nirgends sehen läßt“, erwiderte Reelzingen nachdenklich; „und wie er errötete!“ setzte er hinzu. „Herr Bruder, du wirst sehen, da läßt auch einmal wieder der Satan einen vernünftigen Jungen einen dummen Streich machen!“


3.

Lanbek irrte, als er die Freunde verlassen hatte, in den Sälen umher; seine Blicke gleiteten unruhig über die Menge hin, sein Gesicht glühte unter der Larve, und mühsam mußte er oft nach Atem suchen, so drückend war die Luft in dem Saale und so schwer lag Erwartung, Sehnsucht und Angst auf seinem Herzen. Dichter und stürmischer drängte sich die Menge, als er in die Mitte des zweiten Saales kam; mit Mühe schob er sich noch eine Zeitlang durch, aber endlich riß ihn unwillkürlich der Strom fort, der sich nach einer Seite hindrängte, und ehe er sich dessen versah, stand er an einem Spieltisch, wo Süß mit einigen seiner Finanzräte Karten spielte. Große Haufen Goldes lagen auf dem Tische, und die neugierige Menge beobachtete den berühmtesten Mann ihres Landes und teilte sich flüsternd und murmelnd Bemerkungen mit über die ungeheuern Summen, die er, ohne eine Miene zu verändern, hingab oder gewann.

Gustav hatte den Gewaltigen noch nie so in der Nähe beobachtet wie jetzt, da er, festgehalten durch die Menge, die wie eine Mauer um ihn stand, zum unwillkürlichen Beobachter wurde. Er gestand sich, daß das Gesicht dieses Mannes von Natur schön und edel geformt sei, daß sogar seine Stirne, sein Auge durch Gewohnheit zu herrschen etwas Imponierendes bekommen haben; aber feindliche, abstoßende Falten lagen zwischen den Augbraunen da, wo sich die freie Stirne an die schön geformte Nase anschließen wollte, das Bärtchen auf der Oberlippe konnte einen [389] hämischen Zug um den Mund nicht verbergen, und wahrhaft greulich schien dem jungen Mann ein heißeres, gezwungenes Lachen, womit der jüdische Minister Gewinn oder Verlust begleitete.

Während die Herren, von der Menge umlagert, spielten und auf irgend etwas zu warten schienen, trat ein Mann in der Kleidung eines Bauern aus der Steinlach aus den Reihen der Neugierigen; ein alter Hut auf dem Kopf, eine grobe blaue Jacke, eine rote Weste mit großen Knöpfen von Zinn, Beinkleider von gelbem Leder und schwarze Strümpfe machten sein unscheinbares Kostüm aus; aber er trug eine sehr feine, gutgemalte Larve. Er stützte sich nach Art der Landleute mit der Hand auf den fünf Fuß hohen Knotenstock, legte sein Kinn auf die Hand und sprach in gut nachgeahmtem Dialekt des Steinlachthals:

„Viel Geld habt Ihr da liegen, Herr! und habt alles selbst verdient?“

Der Minister sah sich um und bemühte sich, über diese Maskenfreiheit zu lächeln. Vielleicht mochte ihm diese Gelegenheit erwünscht kommen, um sich ein populäres Ansehen zu geben, denn er antwortete sehr freundlich: „Guten Abend, Landsmann.“

„Euer Landsmann bin ich gerade nicht“, erwiderte der Bauer mit großer Ruhe; „so wie ich tragen sich gewöhnlich die Mausche[WS 1] nicht.“ Ein unterdrücktes Lachen flog durch die Reihen der Zuschauer. Der Minister schien es aber nicht zu bemerken, denn er fuhr ganz leutselig fort:

„Du bist witzig, mein Freund.“

„Gott bewahr’ mich, daß ich Euer Freund sei, Herr Süß“, entgegnete der Bauer. „Wär’ ich Euer Freund, so ging ich wohl nicht in dem schlechten Rock und durchlöcherten Hut; Ihr macht ja Eure Freunde reich.“

„Nun, dann muß ganz Württemberg mein Freund sein, denn ich mache es reich“, sagte Süß und begleitete seine Rede mit heißerem, unangenehmem Lachen.

„Ihr seid ein allerwelts Goldmacher“, entgegnete der Bauer. „Wie schön diese Dukaten sind! Wieviel Schweißtropfen armer Leute gehen wohl auf ein solches Goldstück?“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Mausche, die Herkunft dieses Wortes vom jüdischen Eigennamen Moshe (Moses) ist umstritten; die Verwendung als Schimpfwort für Juden ist seit dem 18. Jahrhundert belegt.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 388–389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_197.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)