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„Wahrlich“, rief er, „du gleichst der Zauberin Armida[1], und so denke ich mir die Töchter deines Stammes, als ihr noch Kanaan bewohntet. So war Rebekka und die Tochter Jephthas.“

„Wie oft schon habe ich dies gesagt“, bemerkte Sara, „wenn ich mein Kind, meine Lea in ihrer Pracht anblickte; die Poschen[2] und Reifröcke, die hohen Absatzschuhe und alle Modewaren stehen ihr bei weitem nicht wie diese Tracht.“

„Du hast recht, gute Sara“, erwiderte der junge Mann; „doch setze dich hier an den Tisch; du hast zu lange unter Christen gelebt, um vor diesem Punsch und diesem Backwerke zurückzuschaudern; unterhalte dich gut mit diesen Dingen.“

Sara, welche den Sinn und die Weise des Nachbars kannte, sträubte sich nicht lange und erbarmte sich über die Kunstprodukte der Zuckerbäcker; der junge Mann aber setzte sich einige Schritte von ihr neben die schöne Lea. „Und nun aufrichtig, Mädchen“, sagte er, „du hast Kummer, du hast gestern kaum das Weinen unterdrückt, und auch heute wieder ist eine Wolke auf dieser Stirne, die ich so gern zerstreuen möchte. Oder glaubst du etwa nicht, ungläubiges Kind, daß ich dein Freund bin und gerne alles thun möchte, um dich aufzuheitern?“

„Ich weiß es ja, o, ich sehe es ja immer, und auch heute wieder“, sagte sie, mühsam ihre Thränen bekämpfend, „und es macht mich ja so glücklich. Als Sie mich das erstemal an unserem Gartenzaun grüßten, als Sie[WS 1] nachher, es war anfangs Oktobers, mit mir über den Zaun hinüber sprachen, und nachher und immer so freundlich und traulich waren, gar nicht wie andere Christen gegen uns, da wußte ich ja wohl, daß Sie es gut mit mir meinen, und – es ist ja mein einziges, mein stilles Glück!“ Sie sagte es und einzelne Thränen stahlen sich aus den schönen Augen, indem sie sich bemühte, ihn freundlich und lächelnd anzusehen.

„Aber dennoch – ?“ fragte Gustav.

[395] „Aber dennoch bin ich nicht glücklich, nicht ganz glücklich. In Frankfurt hatte ich meine Gespielinnen, hatte meine eigene Welt, wollte nichts von der übrigen. Ich dachte nicht nach über unsere Verhältnisse, es kränkte mich nicht, daß uns die Christen nicht achteten, ich saß in meinem Stübchen unter Freunden und wollte nichts von allem, was draußen war. Mein Bruder ließ mich zu sich nach Stuttgart bringen. Man sagte mir, er sei ein großer Herr geworden, er regiere ein Land, in seinem Hause sei es herrlich und voll Freude und die Christen leben mit ihm wie wir unter uns; ich gestehe, es freute mich, wenn meine Freundinnen meine Zukunft so glänzend ausmalten; welches Mädchen hätte sich an meiner Stelle nicht gefreut?“

Thränen unterbrachen sie aufs neue, und der junge Mann, voll Mitleid mit ihrem Kummer, fühlte, daß es besser sei, ihre Thränen einige Augenblicke strömen zu lassen. Es gibt ein Gefühl in der menschlichen Brust, das wehmütiger macht als jeder andere Kummer, ich möchte es Mitleiden mit uns selbst heißen, es übermannt uns, wenn wir am Grabe zerstörter Hoffnungen in die Tage zurückgehen, wo diese Hoffnungen noch blühten, wenn wir die fröhlichen Gedanken zurückrufen, mit welchen wir einer heiteren Zukunft entgegengingen; wahrlich, dieser bittere Kontrast hat wohl schon stärkere Herzen in Wehmut aufgelöst als das Herz der schönen Jüdin.

„Ich habe alles anders gefunden“, fuhr Lea nach einer Weile fort; „in meines Bruders Hause bin ich einsamer als in meiner Kindheit. Ich darf nicht kommen, wenn er Bälle und große Tafeln gibt. Die Musik tönt in mein einsames Zimmer, man schickt mir Kuchen und süße Weine wie einem Kinde, das noch nicht alt genug ist, um in Gesellschaft zu gehen. Und wenn ich meinen Bruder bitte, mich doch auch einmal, nur in seinem Hause wenigstens, teilnehmen zu lassen, so schlägt er es entweder ganz kalt ab, oder wenn er gerade in sonderbarer Laune war, erschreckte er mich durch seine Antwort.“

„Was antwortete er denn?“ fragte der Jüngling gespannt.

„Er sieht mich dann lange und seufzend an, seine Augen werden trüber, seine Züge düster und melancholisch, und er antwortet,


  1. Armida, in Tassos „Befreitem Jerusalem“ eine durch ihre verführerische Schönheit hervorragende und besonders den jungen Kreuzritter Rinaldo durch ihre Liebe bestrickende Zauberin.
  2. Poschen waren steife, runde Taschen, die früher von den Damen statt des Reifrockes um die Hüften gebunden wurden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: sie
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 394–395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_200.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)