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ich dürfe nicht auch verloren gehen; ich solle unablässig zu dem Gott unserer Väter beten, daß er mich fromm und rein erhalte, auf daß meine Seele ein reines Opfer werde für seine Seele.“

„Thörichter Aberglaube!“ rief der junge Mann unmutig. „Darum also sollst du, armes Kind, allen Freuden des Lebens entsagen, damit er –“

„Hat er sich denn so arg versündigt?“ fragte Lea, als ihr Freund, wie bei einer unbesonnenen Rede, schnell abbrach. „Was soll ich denn büßen? Solche hingeworfene Worte machen mich so unglücklich; es ist mir, als schwebe irgend ein Unglück über meinem Bruder, als sei nicht alles recht, was er thut. Niemand steht mir darüber Rede, auch Saras Worte kann ich nicht deuten, denn wenn ich sie darüber befrage, weicht sie aus oder nennt ihn geheimnisvoll den Rächer unsers Volkes.“

„Sie ist nicht klug“, erwiderte der junge Mann befangen; „dein Bruder hat, wie es überall geht, eine mächtige Gegenpartei; manche seiner Finanzoperationen werden getadelt; aber wegen seiner darfst du ruhig schlafen“, setzte er bitter lachend hinzu, „der Herzog hat ihm heute einen Freibrief geschenkt, der ihn vor jeder Gefahr und Verantwortung sichert.“

„O, wie danke ich dies dem guten Herzog!“ sagte sie aufgeheitert, indem sie die dunkeln Locken aus der weißen Stirne strich. „So hat er also gar niemand zu fürchten? Die Christen können ihn nicht verfolgen? – Sie antworten nicht? Gestehen Sie nur, Gustav, Sie sind meinem armen Bruder gram?“

„Deinem armen Bruder? – Wenn er arm wäre, könnte ich ihn vielleicht um seines Verstandes willen ehren! Aber was geht uns dein Bruder an?“ fuhr Lanbek düster lächelnd fort. „Ich liebe dich, und hättest du alle bösen Engel zu Brüdern; aber eines versprich mir, Lea; die Hand darauf.“

Sie sah ihn erwartungsvoll und zärtlich an, indem sie ihre Hand in die seinige legte.

„Bitte deinen Bruder niemals wieder“, fuhr er fort, „dich zu seinen Zirkeln zuzulassen. Mag er nun Gründe haben, welche er will, es ist gut, wenn du nicht dort bist; so viel kann ich dich [397] versichern“, setzte er mit blitzenden Augen hinzu, „wenn ich wüßte, daß du ein einziges Mal dort gewesen, kein Wort mehr würde ich mit dir sprechen!“

Befangen und mit Thränen im Auge wollte sie eben um Aufschluß über dieses neue Rätsel bitten, als ein lauter Zank im Nebenzimmer die Liebenden aufstörte. Mehrere Männer schienen mit der Polizei sich zu streiten, man hatte die Thüre des Kabinetts gesprengt, und über diesen Eingriff in die Rechte des Karnevals wurde schnell und mit Heftigkeit gestritten.

„Mein Gott! Das ist meines Vaters Stimme“ rief der junge Lanbek, „schleiche dich mit Sara in den Saal, Mädchen; nehmet den Schlüssel dieser Thüre zu euch, vielleicht können wir später uns wiedersehen.“ Er drückte der überraschten Lea schnell einen Kuß auf die Stirne, nahm seine Maske vor, und noch ehe sie sich über diesen schnellen Wechsel besinnen konnte, war der Aktuarius schon aus der Thüre gestürzt. Im Korridor, den er jetzt betrat, stand schon eine dichte Menschenmasse um die geöffnete Thüre des Nebenzimmers versammelt. Deutlicher vernahm er die gewichtige, tiefe Stimme seines Vaters; er stieß und drängte sich wie ein Wütender durch und kam endlich in das Gemach. Fünf alte Herren, die ihm als ehrenwerte Männer und Freunde seines Vaters wohl bekannt waren, standen um den alten Landschaftskonsulenten Lanbek; die einen zankten, die andern suchten zu beruhigen. Es war damals eine gefährliche Sache, mit der Polizei in Streit zu geraten; sie stand unter dem besondern Schutz des jüdischen Ministers, und man erzählte sich mehrere Beispiele, daß biedere, ruhige Bürger und Beamte, vielleicht nur, weil sie einem Diener dieser geheimen Polizei widersprochen oder Gewaltthätigkeit verhindert hatten, mehrere Wochen lang ins Gefängnis geworfen und nachher mit der kahlen Entschuldigung, es sei aus Versehen geschehen, entlassen worden waren. Doch der alte Lanbek schien keine Furcht vor diesen Menschen zu kennen, er bestand darauf, daß die Häscher das Zimmer sogleich verlassen müßten, und es wäre vielleicht noch zu schlimmern Händeln als einem Wortwechsel gekommen, wenn nicht in diesem Augenblick ein ganz anderer Gegenstand die Aufmerksamkeit des Anführers der Häscher

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 396–397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_201.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)