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Strafbares! Meinen Sie, wenn ich etwas Strafbares in diesem Verhältnis ahnete, Sie hätten es mit einer Nacht auf der Wache abgebüßt? Bei den Gebeinen meiner Väter! Wenn ich – auf Neuffen oder Asperg[1] gibt es Keller und Kasematten, wo kein Mond und keine Sonne scheint, da hätte ich den Herrn Sarazenen sitzen lassen, bis er sein Schwabenalter[2] erreicht hätte. Oder meint Ihr etwa in Eurem christlichen Hochmut, einem Israeliten gelte die Ehre seiner Famile nicht ebenso hoch als einem Nazarener?“

Der junge Mann erschrak vor dieser Drohung, denn er bedachte, daß es dem Allgewaltigen ein Leichtes gewesen wäre, ihn spurlos von der Erde verschwinden zu lassen; aber sein mutiger Sinn lehnte sich auf gegen den Übermut dieses Mannes, der seine Privatsache zu einer öffentlichen machte und zur Wahrung seines Hausrechtes mit den Festungen des Landes drohte: „Exzellenz“, sagte er mit Blicken, vor welchen der Minister die Augen niederschlug, „wie Sie über Ihre eigene Ehre denken, weiß ich nicht, doch scheint es mir nicht sehr ehrenvoll zu sein, solche Drohungen auszustoßen. Mein Vater ist zwar nur ein geringer Mann in Vergleich mit einem so gewaltigen und hohen Herrn, aber der Landschaftskonsulent Lanbek weiß, wo man in Deutschland Gerechtigkeit findet. Wien ist nicht so fern von Stuttgart, und Euern Gnadenbrief von gestern hat der Kaiser nicht unterzeichnet; was aber die Ehre Eurer Schwester betrifft, so kann ich Euch versichern, daß sie mir nicht minder teuer ist als meine eigene.“

„Ihr habt hübsche Anlagen zu einem Landschaftskonsulenten“, sagte der Jude ruhig lächelnd; „übrigens im Vertrauen gesagt, auf den Kaiser müßt Ihr nicht zu sehr pochen; wegen eines württembergischen Schreibers fängt man in Wien mit uns keine Händel an. Aber Ihr gefallt mir, mein Schatz; ich habe Eure Arbeiten loben hören, und Köpfe wie der Eure kann man zu etwas Besserem brauchen als Akten zu heften und Faszikel[WS 1] zu binden; Ihr seid Expeditionsrat mit sechshundert Gulden Besoldung, und es freut mich, daß ich der erste bin, der Euch hiezu gratuliert.“

[407] Der junge Mann sprang von seiner Bank auf und wollte reden, aber Überraschung und Schrecken schloß ihm den Mund. Hundert Gedanken kreuzten sich in seinem Kopf. Es war nicht die Freude, vier Stufen, durch welche man sich sonst lange und mühevoll schleppte, nun in einem Augenblicke übersprungen zu haben, was seine Seele füllte, es war der schreckliche Gedanke, vor der Welt für einen Günstling dieses Mannes zu gelten, vor seinem Vater, vor allen guten Männern gebrandmarkt dazustehen.

„Exzellenz!“ sprach er befangen, „ich darf, ich kann diese Gnade nicht annehmen! Bedenken Sie, was wird man sagen, so viele ältere, verdiente Männer –“

„Was da! Ich habe Euch Platz gemacht“, antwortete der Jude in befehlendem Ton, „ich habe Euch zum Rat ernannt, und Ihr seid es. Keinen Dank, keine übergroße Delikatesse, ich liebe das nicht. – Nun“, fuhr er gütig, beinahe zärtlich fort, „und wie steht Ihr mit meiner Lea? Ihr habt mir ja das stille, blöde Kind ganz verzaubert. Fürchtet Euch nicht vor mir, junger Herr, ich bin nicht der Mann, der gerade so sehr auf Reichtum sieht; Eure Familie gehört unter die ältesten und angesehensten Bürgerfamilien, und das gilt mir in diesem Fall so viel oder mehr als Reichtum. Euer Vater wird Euch zwar nicht viel mitgeben, aber mit mir sollt Ihr zufrieden sein, fürstlich will ich meine Lea ausstatten.“

Die Felsenkeller von Neuffen und die tiefen Kasematten von Asperg wären in diesem Augenblick dem jungen Manne willkommener gewesen als diese Versicherung; er dachte an seinen stolzen Vater, an seine angesehene Familie, und so groß war die Furcht vor Schande, so tief eingewurzelt damals noch die Vorurteile gegen jene unglücklichen Kinder Abrahams, daß sie sogar seine zärtlichen Gefühle für die schöne Tochter Israels in diesem schrecklichen Augenblick übermannten. „Herr Minister!“ sprach er zögernd, „Lea kann keinen wärmeren Freund als mich haben; aber ich fürchte, daß Sie dieses Gefühl falsch deuten, mit einem andern verwechseln, das – ich möchte nicht, daß Sie mich falsch verstehen, und Lea wird Ihnen nie gesagt haben, daß ich jemals davon gesprochen hätte –“

Der stolze Mann errötete, warf seine Lippen auf, drückte die


  1. Die bekannten württembergischen Staatsgefängnisse.
  2. Schwabenalter nennt der Volksmund das 40. Lebensjahr, in dem die Schwaben anfangen klug zu werden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Aktenbündel
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 406–407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_206.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)