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„So hoch werde ich mich wohl nicht poussieren“, erwiderte Gustav ruhig und ernst, „aber meiner Leiche kannst du folgen, wenn sie mich morgen um Mitternacht neben der Kirchhofsmauer einscharren.“

Der Kapitän sah ihn erschrocken an; er mochte tiefen Ernst auf der Stirne des jungen Mannes lesen, denn er wiederholte diesen Blick und begegnete Gustavs Auge. „Willst du mich fünf Minuten lang anhören, Reelzingen?“ fragte er. „Du wirst dann über die Uneigennützigkeit dieses Ministers staunen. Sonst war doch der Preis einer Amtei zweitausend, und ein Expeditionsrat galt seine dreitausend Gulden unter Brüdern; aber ich Glückskind bekomme ihn umsonst, rein pour rien! Denn das Glück meines Lebens, die Ruhe meiner Familie, der heitere Frieden meines Vaters – daß diese bei dem Handel verloren gehen, ist ja gering zu achten. Doch höre.“

Staunend vernahm der Kapitän diese Worte; aufmerksam setzte er sich neben Gustav nieder. Je höher der Glaube an seinen Freund während seiner Erzählung stieg, desto ängstlicher wurde er für ihn und seine Familie besorgt. Er schloß ihn in seine Arme, er versuchte es, ihm Trost einzusprechen, obgleich er selbst an diese Trostgründe nicht glaubte. „Der Jude ist ein feiner Spieler“, sagte er, „deine besten Tarocks[1] hat er dir abgejagt, und das Spiel scheint in seiner Hand zu liegen; aber – er könnte sich verrechnet haben, wir wollen sehen, wie er beschlagen ist, wenn wir – Spadi[2] anspielen.“


7.

Wir führen unsre Leser aus dem Offizierszimmer der Hauptwache in Stuttgart nach dem Hause des Landschaftskonsulenten Lanbek. In einem weiten, geräumigen Zimmer, dessen Hausrat nicht überladen und prächtig, aber solid und stattlich ist, finden wir einen ältlichen Mann von mehr als mittlerer Größe. Sein [411] Gesicht und seine Gestalt beweisen, daß er, als er in den Fünfzigen stand, wohlbeleibt gewesen sein mochte, jetzt, zehn Jahre später, hatten sich Falten um Mund und Stirne gelegt, und der weite Schlafrock von feinem grünen Tuch, mit Pelz verbrämt, war für eine reichliche Fülle gefertigt und schlug jetzt weite Falten um den Leib; aber die rötlichen Wangen, die klaren grauen Augen, der feste Schritt, womit er im Zimmer auf und ab ging, ließen, noch ehe man seine volle, sonore Stimme vernahm, ahnen, daß der alte Konsulent an Geist und Körper noch frisch und rüstig sei.

In der Vertiefung des breiten Fensters saßen zwei schöne Mädchen von achtzehn bis zwanzig Jahren, die dem Alten, so oft er ihnen den Rücken wandte, besorglich und ängstlich nachschauten, wohl auch untereinander flüsterten, solange sie von ihm nicht gesehen wurden. Die eine war bemüht, des Vaters ungeheure Allongeperücke in Ordnung zu bringen, und trotz dem Kummer, der aus ihren Blicken sprach, schien sie doch Freude an dem schönen Kontrast zu finden, welchen die schwarzen Locken dieses Haargebäudes mit ihren zarten, weißen Händchen bildeten. Die dunkelblauen Augen der andern jungen Dame schienen mehr mit der Straße als mit der feinen Arbeit, an welcher sie nähte, beschäftigt, doch waren ihre Züge zu ernst, als daß man es müßiger Neugier hätte zuschreiben dürfen.

Sie hatten mehrere Minuten lang geschwiegen, denn die Mädchen waren viel zu streng erzogen, als daß sie den Vater, der seinen Gedanken nachhing, mit Fragen belästigt hätten; plötzlich sprang die junge Nähterin auf, ließ ihre schöne Arbeit zu Boden fallen, beugte den schlanken Hals näher ans Fenster und sah gespannt nach der Straße. Der Vater sah diese Bewegungen, hielt seine Schritte an, blickte aufmerksam nach seiner Tochter und fragte nur mit Blicken; Käthchen, die jüngere Schwester, vollendete schnell noch eine Stirnlocke der Perücke, setzte dann das Prachtwerk behutsam auf eine Kommode und kam eben noch zeitig an, um mit Hedwig zu rufen: „Er ist’s, er hat heraufgesehen, Vater; er geht sehr schnell; sieh’ doch, was er für einen sonderbaren Rock anhat!“


  1. Beliebtes Kartenspiel, mit 78 Blättern zu spielen, unter denen sich 22 Tarocks oder Trümpfe befinden.
  2. Vom franz. spadille, welches das Pik-As bedeutet und als der höchste Trumpf gilt.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 410–411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_208.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)