Seite:De Wilhelm Hauff Bd 3 219.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

und ein schreckliches Stöhnen gehört zu haben, und dem schönen Käthchen graute, dort hinzugehen, weil jenes Gemach nur eine dünne Wand aus Holz und Backsteinen von den Zimmern des gefürchteten Juden Süß trennte.

Eines Abends jedoch, als man die Mädchen schon längst weggeschickt hatte, sah Käthchen, die sich bis auf die Mitte der Treppe hinabgeschlichen hatte, drei Männer bei ihrem Vater eintreten, die ihre Neugierde aufs höchste trieben. Der erste, der sich langsam und schnaubend die untere Treppe heraufschob und auf der Hausflur einige Minuten stehen blieb, um Atem zu sammeln, war niemand Geringeres als der lutherische Prälat Klinger. Seine schneeweiße Perücke, seine Prälatenkette, die gerade auf dem Magen ruhte, und seine alten, verwitterten Züge flößten dem Mädchen ungemeine Ehrfurcht ein; ihm folgte hastigen Schrittes der Obrist und Stallmeister von Röder, ein Mann, den man für sehr klug und tapfer, aber zugleich auch in seinen Sitten für sehr unheilig hielt, und über den dritten hätte sie beinahe laut aufgelacht, es war der fröhliche Kapitän Reelzingen, der so drollige Geschichten und Schnurren zu erzählen wußte und sie schon auf manchem Ball beinahe zum Lachen gebracht hatte. Heute hatte er sein Gesicht in ganz ehrbare Falten gelegt und sah gerade aus wie damals, als er ihr auf parole d’honneur schwur, daß er sie vraiment liebe. Sie sah ihm lächelnd nach, bis sein ungeheurer Degen in der Thüre verschwunden war, und eilte dann in das Bibliothekzimmer, wo sie die blonde Hedwig traf, welche die Augen fest zugeschlossen hatte, um nicht über ein Gespenst zu erschrecken, wenn etwa zufällig eines in der Bibliothek auf und ab wandelte. „Heute müssen wir hinunter gucken!“ erklärte Käthchen, „und komm’ nur jetzt gleich mit; denke dir, die Leute kommen hier zusammen wie beim Karneval. Hast du je sonst den Prälaten Klinger und den Kapitän Reelzingen in einem Zimmer gesehen und dazu den Obrist Röder, und“ – setzte sie hinzu, als die Schwester zauderte – „ich müßte mich sehr irren, wenn ich nicht, als die Thüre einmal aufging, auch Blankenberg gesehen hätte.“

Dieser letzte Name entschied; Käthchen nahm das Licht und [433] ging mit pochendem Herzen voran, Hedwig folgte ihr, so nahe als möglich an die mutigere Schwester gedrängt, und als jene die verhängnisvolle Kammerthüre aufschloß, hielt sie sich fest an ihrem Kleide. Die Öffnung war gerade über dem Ofen des Wohnzimmers, das einen Stock tiefer lag, angebracht, und Käthchen konnte, als sie die Klappe aufzog, selbst wenn sie sich auf die Kniee legte und den Kopf tief herabbeugte, doch nicht mehr als 4 oder 5 der versammelten Männer sehen; auch Hedwig beugte sich jetzt herab und versuchte es, noch tiefer zu blicken als ihre Schwester, aber verdrießlich stand sie wieder auf und sagte: „Nichts als den breiten Rücken des Prälaten, einige Perücken und die Uniform des Obristen kann ich sehen; weißt du denn gewiß, daß Blankenberg zugegen ist?“

„Sicher!“ erwiderte Käthchen, schalkhaft lächelnd. „Doch laß uns horchen, was sie sprechen, vielleicht kennst du deinen Liebhaber an der Stimme.“

Sie setzten sich auf den Fußboden neben der Öffnung und lauschten; die angenehme Wärme, die von dem Ofen heraufdrang, und ihre Neugierde ließen sie eine Zeitlang die empfindliche Kälte der Märznacht vergessen; endlich richtete sich Hedwig unmutig auf. „Meinst du, wir werden klug werden aus diesem Geplauder, wovon man nur die Hälfte versteht? Sie schwatzen wieder, wie immer, vom Wohl des Landes, vom Herzog, von Süß, von allem; was geht das uns an! Komm’! Es ist gar schaurig hier und kalt. Mädchen, so steh’ doch auf!“

Aber Käthchen winkte ihr zu schweigen; man hörte jetzt eben den Obrist Röder mit bestimmter und vernehmlicher Stimme etwas vorlesen, die tiefe Stille umher unterbrach nur zuweilen ein schnell verrauschendes Murmeln des Unwillens. Jetzt sprach der alte Lanbek; Käthchens fröhliche Züge gingen nach und nach in Staunen und Angst über, endlich, als die Männer unten wieder laut, aber beifällig zusammen sprachen und die Gläser anstießen, flog eine hohe Röte über das schöne Gesicht des Mädchens, ihre Augen leuchteten, als sie vorsichtig die Klappe schloß, die Lampe ergriff und mit ihrer Schwester den Rückweg einschlug.

„Hast du was verstanden?“ fragte Hedwig; „du schienst auf

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 432–433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_219.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)