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„Jetzt hat dein Reich ein Ende, Jude“, rief der Kapitän, lachte wild, riß ihm den Zaum aus der Hand und schlug sein Pferd mit der langen Peitsche auf den Rücken; der Obrist ritt an der rechten Seite, seine Pistole in der Hand; der Zug setzte sich in Galopp, und Gustav folgte halb träumend durch das singende Dorf, an dem alten Mann, der heiser lachend wieder auf der Brücke saß, und an dem Galgen vorüber, wo die Raben krächzten und mit den Flügeln schlugen. Erst hier, als er einen scheuen Blick nach der Richtstätte warf, fiel ihm mit ängstlicher Ahnung Lea und ihr unglückliches Schicksal bei.


14.

Als die Stuttgarter am Morgen nach dieser verhängnisvollen Nacht erwachten, wurden sie von zwei beinahe ganz unglaublichen Nachrichten überrascht. Der Herzog sei, statt außer Landes verreist zu sein, in dieser Nacht zu Ludwigsburg schnell gestorben. Er war ein gesunder, kräftiger Mann gewesen, dem mancher, der ihn gesehen, wohl noch zwanzig – dreißig Jahre gegeben hätte. Die Klagen um seinen Tod verstummten beinahe vor der Freude über eine andere Nachricht; der Jude Süß sei mit mehreren der höchsten Hofherren im Ludwigsburger Schloß gewesen, als der Herzog so plötzlich starb; er habe sich alsobald, nachdem er die Leiche gesehen, aufs Pferd geschwungen und sei halb wahnsinnig Stuttgart zugeritten; Herr von Röder aber, ein Mann, mit dem sich nicht spaßen lasse, habe ihn eingeholt und bewacht nach Stuttgart geführt. Man lachte über die sonderbare Täuschung des Juden: Als er nämlich von der Frau Herzogin, welcher er noch in der Nacht aufgewartet hatte, um zu kondolieren, heraustrat und eine Eskorte nach Haus verlangte, weil er wichtige Akten holen müsse, schloß sich ein Lieutenant mit sechs Mann an ihn an. Am Ende des Korridors machte ihm ein Hauptmann das Kompliment und folgte mit zwölf Mann; jener meinte zwar lächelnd, „es sei zu viel Ehre“, als er aber an Lanbeks Haus um die Ecke bog und vier Schildwachen vor seinem Palais bemerkte, als er oben an der Treppe Bajonette blitzen sah und Lea bleich, [447] verstört und weinend ihm entgegen stürzte, da merkte er, welche Stunde geschlagen habe, und rief: „Ciel, je suis perdu!“

Obgleich das Testament des verstorbenen Herzogs im Fall seines Todes eine Administration bestellt hatte, welche seinen Ministern angenehmer gewesen wäre, so übernahm doch Herzog Rudolf von Neustadt[1] trotz seines hohen Alters als der nächste Agnat die Administration, und das Land fühlte sich erleichtert und zufrieden dabei. Er ließ, außer anerkannt schlechten Menschen, jeden in der Würde, in der er unter der vorigen Regierung stand, und es war dies wirklich eine Art von Gnadenakt, wenn man bedenkt, daß früher zwei Drittteile aller Ämter im Lande gekauft worden waren. Nur einer war nicht zufrieden mit dem Amt, das ihm der Herzog Administrator mit den huldreichsten Ausdrücken bestätigt hatte; es war der junge Lanbek. Er wurde nicht nur als Expeditionsrat aufs neue ernannt, sondern, als der alte Röder, im Feuer der Freundschaft für den Landschaftskonsulenten, dessen Sohn als einen klugen Kopf und trefflichen Juristen schilderte, wählte ihn der Herzog sogar in die Kommission, die den Prozeß gegen den Juden Süß zu führen hatte. Der alte Lanbek fühlte sich dadurch nicht wenig geehrt und nannte seinen Sohn mehrere Male den Stolz und die Stütze seines Alters; aber Gustav machte diese Wahl unausprechlich unglücklich. Nicht als ob er nicht, wie jeder andere Bürger, den Mann verdammt hätte, der das Land in so tiefes Elend gestürzt; nicht als ob es gegen sein Gewissen gewesen wäre, Verbrechen ans Licht zu ziehen, die man so künstlich verborgen hatte; aber Lea – es war ja ihr Bruder, den er richten sollte, und dieser Gedanke war es, der ihm dieses Geschäft zum Abscheu machte. Kleine Seelen sättigen sich gerne an Rache, und manchem wäre es eine innige Freude gewesen, einen Mann, der noch vor kurzem so hoch stand, jetzt in der tiefsten Kasematte der Festung zu besuchen, mit herrischer Stimme ihn von seinem Lager aufzujagen und ihn zu martern und zu peinigen. Dieser Mann hatte sich noch überdies


  1. Da bei Karl Alexanders Tode dessen ältester Sohn, Karl Eugen, erst 9 Jahre alt war, so übernahm vorläufig Herzog Karl Rudolf von Neustadt als nächster Agnat die Vormundschaft und Landesverwaltung.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 446–447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_226.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)