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dem Lande und den Bewohnern Vorurteile abbitten, die man in der Ferne, vom Hörensagen, besonders in einem Alter von vierundzwanzig Jahren, so leicht annimmt.

Wie anders war ihm dieses Land im Brandenburgischen geschildert worden! Manche Reisende hatten zwar diese Bergstraße, dieses Neckarthal gelobt, doch erschien dann ihre Beschreibung matt und klein gegen die Wunder der Schweiz, zu welchen sie auf dieser Straße geeilt waren. Über die Bewohner war aber in seiner Heimat nur Eine Stimme. Hier, bald hinter Darmstadt, fangen die Schwaben an, erzählte man dem jungen Reisenden in Berlin mit einem mitleidigen Blick auf die Karte, mit einem noch mitleidigeren auf ihn, der diese Länder besuchen wolle. Da geht alles gesellschaftliche Leben, alle Bildung aus; ein rohes, ungesittetes Volk, das nicht einmal gutes Deutsch sprechen kann. Und leider! nicht nur die untersten Klassen leiden an diesem Mangel, auch die besseren Stände haben einen Anstrich von eingeschränktem, ungalantem Wesen und reden so elendes Deutsch, daß sie vor Fremden, um nicht erröten zu müssen, französisch sprechen. Das war der Reisepfennig, den man ihm nach Schwaben mitgab, und in dem jungen und romantischen Kopf des jungen Brandenburgers hatten diese Sagen sich endlich während der schönen Muße, die ihm die Sandkunststraßen und die schnapsenden Postillons seines Vaterlandes gönnten, so sonderbar gestaltet, daß er sich selbst wie einer jener wohlerzogenen jungen Herren in einem Scottischen Roman erschien, die, von den wehmütigen Erinnerungen an die feinsten Zirkel, an Theater und alle Genüsse der großen Welt erfüllt, von London ausreißen, um das Hochland und seine barbarischen Bewohner zu besuchen.

Doch als die herrliche Welt jener Berge von Obst und Wein und jene gesegneten Thäler sich vor seinen Blicken aufthaten, als die schönen Dörfer mit ihren roten Dächern, mit ihren reinlichen, fröhlichen Menschen seinem erstaunten Auge sich zeigten, als da und dort zwischen prachtvollen Buchenwäldern eine alte Burg und ein Schloß mit schimmernden Fenstern auftauchte, da fiel er beinahe in das andere Extrem: er strömte über von Lob und Bewunderung und bemitleidete die arme, flache Mark, ihren [457] kahlen Sandboden, ihre mageren Tannen und ihre bleichen Bewohner, von welchen vielleicht Tausende aus dem Leben gingen, ohne nur eine jener üppigen Trauben gesehen zu haben, die hier in unendlicher Fülle durch das grüne Laub schimmerten, und ein schwacher Trost für seinen Patriotismus war, daß die Natur seine Landsleute durch höhere Einsicht, eine wohllautendere Sprache und feinere Bildung in etwas wenigstens entschädigt habe.

Der junge Mann an seiner Seite schien übrigens, obgleich man seiner Sprache den südlichen Accent anfühlte, die Gesetze des Anstandes nicht minder gut zu verstehen als der Brandenburger; zum mindesten verriet keine seiner Fragen Neugierde, über dessen Stand, Vaterland und Reisezweck etwas zu erfahren, er benahm sich zuvorkommend, aber würdig, schien geneigter zu antworten als zu fragen, und übernahm es, ohne sich dadurch belästigt zu fühlen, den Fremden über Namen und Geschichte der Burgen und Städte, die ihm auffielen, zu unterrichten.

So ruhig und kalt übrigens der junge Mann im Jagdkleid über diese Dinge Aufschluß gab, so waren es doch zwei Punkte, über welche er wärmer und länger sprach. Einmal, als sein Nebensitzer über die gute Gesellschaft in Schwaben einige seiner sonderbaren Begriffe preisgab, sah ihn der Grüne mit Verwunderung an, fragte ihn auch, ob er vielleicht auf einem andern Wege schon früher in Schwaben gewesen sei, und als jener es verneinte, erwiderte er:

„Ich weiß, man macht sich hin und wieder, besonders in Norddeutschland, sonderbare Begriffe von uns. Ob mit Recht, mögen Sie selbst entscheiden, wenn Sie einige Zeit in unserer Mitte verweilt haben. Doch möchte ich Ihnen raten, zuvor etwas unbefangener die mögliche Quelle solcher Urteile zu betrachten. Ich gebe zu, daß eine gewisse nachteilige Ansicht über mein Vaterland seit Jahrhunderten besteht; zum mindesten sind die Schwabenstreiche nicht erst in unseren Tagen bekannt geworden. Doch scheint ein großer Teil dieser aberwitzigen Dinge aus einer gewissen Eifersucht der Volksstämme hervorzugehen und aus der Kleinstädterei, die von jeher in unserem lieben Deutschland herrschte. In Schwaben z. B. erzählt man alle jene Sonderbarkeiten, die andere uns

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 456–457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_231.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)