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aufbürden, von den Österreichern; daß aber dieses Vorurteil selbst in neueren Zeiten, selbst durch die Fortschritte der Kultur und das regere gesellige Leben nicht geschwächt wurde, hat zwei wichtige Gründe, die größere Schuld aber liegt nicht auf der Seite von Süddeutschland.“

„Bitte!“ rief der brandenburgische Reisende etwas ungläubig. „Ich sollte doch nicht denken –“

„Man beurteilt unsere Sitten nach meinen Landsleuten, die man in Norddeutschland sieht. Wenn nun diese auch die vernünftigsten Menschen wären, es würden ihnen doch zwei Mängel anhängen, die sie in Ihren Augen in Nachteil setzen. Einmal die Sprache –“

„Bitte!“ erwiderte sein Gefährte verbindlich. „Nicht alle, Sie zum Beispiel drücken sich allerliebst aus.“

„Ich drücke mich aus, wie ich denke, und so macht es ein guter Teil meiner Landsleute auch, weil wir aber die Diphthongen anders aussprechen als ihr, die Endsilben entweder nach unserer altertümlichen Form ändern oder im Sprechen übereilen, klingt euch unsere Sprache auffallend, hart, beinahe gemein. Die meisten Schwaben, die Sie bei sich sehen, sind junge Männer, die von der Universität kommen und die Anstalten in Norddeutschland besuchen, oder Kaufleute, die ihr Handelsweg dahin führt. Diesen Menschen legen nun Ihre Landsleute durchaus ihren eigenen Maßstab an und thun sehr unrecht daran. In Ihrem Lande wird den äußern Formen und dem Benehmen des Knaben und des Jünglings einige Aufmerksamkeit geschenkt, er wird sehr bald in die geselligen Kreise gezogen; bei uns findet dies vielleicht erst um acht oder zehen Jahre später statt.“

„Nun, das ist es ja gerade, was ich sagte“, entgegnete jener, „diese Formen gewinnt keiner durch sich selbst, und dies ist also ein Fehler Ihrer Erziehung –“

„Vorausgesetzt, daß jene Formen wirklich so trefflich, daß sie das sind, was dem zukünftigen Bürger eines Staates vor allem als nützlich und notwendig einzuimpfen ist.“

„Das soll es ja nicht! Aber so auf dem Wege mitnehmen kann er sie doch wohl“, meinte der Fremde.

[459] „Wenn er sie nur so mitnimmt, verliert er sie auch gelegentlich“, erwiderte der Schwabe. „Doch das ist nicht der Punkt, wovon wir sprechen. Ich behaupte nur, man hat in Norddeutschland unrecht, unsere Sitten und unsere Gesellschaft nach Leuten zu beurteilen, die der Gesellschaft eigentlich noch nicht angehört hatten, die vielleicht in die Welt geschickt wurden, um ihre Sitten abzuschleifen. Oder wollten Sie nach einigen jungen Gelehrten, die gerade aus der Studierstube zu Ihnen kamen und sich vielleicht ungeschickt in Sprache und Manieren zeigten, die Landsleute dieser Menschen beurteilen?“

„Gewiß nicht, aber gestehen Sie selbst, man hört doch selbst von der guten Gesellschaft in Schwaben so sonderbare Gerüchte von ihren Sitten und Gebräuchen, von ihren Frauen und Mädchen.“

„Vielleicht kaum so sonderbar“, versetzte der Jäger lächelnd, „als man bei uns von den Sitten Ihrer Damen hört; denn unsere Mädchen stellen die norddeutschen Damen gewiß immer mit irgend einem gelehrten Buch in der Hand vor. Die zweite Quelle des Irrtums über mein Vaterland sind aber Ihre reisenden Landsleute und die eigentümlichen Verhältnisse unseres Familienlebens. In Norddeutschland fällt es nicht schwer, in Familienkreisen Zutritt zu bekommen, durch einen Bekannten zehn zu erwerben. In Schwaben ist es anders: man ist heiter, gesellig unter sich – der Fremde wird als etwas Fremdes angestaunt, aber eher vermieden als eingeladen, doch werden Sie für diese scheinbare Kälte immer eine Entschädigung finden. Ihre Landsleute öffnen die Thür, aber selten das Herz; meine Schwaben sind vorsichtiger, aber sie schließen sich an den, welchen sie liebgewonnen, mit einer Herzlichkeit an, die Sie bei künstlichen und verfeinerten Sitten umsonst suchen.“

„Und also liegt eine zweite Quelle unserer Vorurteile“, fragte der Fremde, „darin, daß meine Landsleute eigentlich gar nicht in Ihren besseren Kreisen einheimisch wurden?“

„Gewiß!“ sagte der Nachbar. „Lernen Sie, wenn Ihnen das Glück wohl will, in die Kreise unserer bessern Stände zu kommen, lernen Sie uns näher kennen, lassen Sie sich nicht durch Ihre eigenen Ansichten über Leben und Sitte durchaus leiten, und Sie

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 458–459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_232.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)