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mehr das Zeichen und Symbol einer harmonischen Seele, als die Folge einer sorgfältigen Erziehung zu sein schien.

Dieselbe Übereinstimmung glaubte er zwischen dem alten Herrn und dem Gemach zu finden, in welches er zuerst geführt worden war. Es war der verblichene Glanz eines früheren Jahrhunderts, was ihm von den Wänden und Hausgeräten entgegenblickte. Die schweren gewirkten Tapeten, mit Leisten befestigt, die einst vergoldet waren und deren Farbe jetzt ins Dunkelbraune spielte; die breiten Armstühle mit ausgeschweiften, zierlich geschnitzten Beinen, die Polster, mit grellen Farben künstlich ausgenäht, mit Papageien, Blumentöpfen und den Bildern längst begrabener Schoßhündchen geziert. Wie manchen Wintertag mochten seine Ahnfrauen über dieser mühsamen Arbeit gesessen sein, die ihnen vielleicht einst für das Vollendetste galt, was der menschliche Geschmack je ersonnen, und die jetzt ihrem Urenkel geschmacklos, schwerfällig, und hätten sich nicht so ehrwürdige Erinnerungen daran geknüpft, beinahe lächerlich erschien. Und doch kam ihm dies alles, der ehrwürdigen Gestalt seines Oheims gegenüber, wie durch Altertum und langjährige Gewohnheit geheiligt vor. Er sah, man sei in Thierberg erhaben über den Wechsel der Mode, und wenn er hinzufügte, was ihm sein Vater über die mancherlei Unglücksfälle und die mißlichen Umstände, worin sich der Oheim befand, gesagt hatte, so fühlte er sich beschämt, daß er diese Umgebungen nur einen Augenblick habe grotesk und sonderbar finden können; er fühlte, daß er unverschuldeter Armut, wenn sie sich in so ernstem und würdigem Gewande zeige, seine Achtung nicht versagen könne, ja, vor diesen Wänden, diesem Geräte und vor dem unscheinbaren, groben Hausrock des Oheims erschien er sich selbst, wenn er einen Blick auf seine modische und höchst unbequeme Tracht warf, wie ein Thor, beherrscht von einem Phantom, das ein Weiser lächelnd an sich vorübergleiten läßt.

Dies waren die Eindrücke, welche der erste Abend in Thierberg auf die Seele des jungen Rantow machte. So ernst sie aber am Ende auch sein mochten, so konnte er doch ein Lächeln nicht unterdrücken, als mit dem Schlage acht Uhr, den die alte Schloßuhr zögernd und zitternd angab, eine Flügelthüre am [473] Ende des Zimmers aufsprang, ein kleiner Kerl in einem verschossenen, bortierten Rock, der ihm weit um den Leib hing, hereintrat, sich dreimal verbeugte und dann feierlich sprach: „Le souper est servi.“

„S’il vous plaît“, sagte der Alte mit ernsthaftem Gesicht und einer Verbeugung zu seinem Neffen, reichte seinen Arm der schönen Anna und ging langsamen Schrittes dem Speisezimmer zu.


4.

Mit den Flügelthüren des Speisesaales und dem ersten Blick, den er hineinwarf, hatte sich übrigens dem Gast aus Brandenburg ein weites Feld der Erinnerung geöffnet. Von diesem gemalten Plafond, der die Erschaffung der Welt vorstellte, von dem schweren Kronleuchter, den der Engel Gabriel als Sonne aus den Wolken herabhängen ließ, von den gelben Gardinen von schwerer Seide hatte ihm seine Mutter oft gesprochen, wenn sie von ihrem väterlichen Schloß in Schwaben und von dem ungemeinen Glanz erzählte, welcher einst durch ihre hochselige Frau Großmutter, die Tochter eines reichen Ministers, in die Familie und in die schöneren Appartements zu Thierberg gekommen sei. Schon seine Mutter hatte in ihrer Kindheit diese Prachtstücke mit großer Ehrfurcht vor ihrem Altertum betrachtet, und seit dieser Zeit hatten sie zum mindesten dreißig bis vierzig Jahre gesehen.

„Das ist der Familiensaal“, sagte während der Tafel der alte Thierberg, als er die neugierigen Blicke sah, womit sein Neffe dieses Gemach musterte. „Vorzeiten soll man es die Laube genannt haben, und meine Ahnherrn pflegten hier zu trinken. Mein Großvater selig ließ es aber also einrichten und schmücken; er war ein Mann von vielem Geschmack und hatte in seiner Jugend mehrere Jahre am Hof Ludwigs XIV. zugebracht. Auch meine Frau Großmutter war eine prächtige Dame, und sie beide haben das Innere des Schlosses auf diese Art eingeteilt und dekoriert.“

„Am Hofe Ludwigs XIV.!“ rief der junge Mann mit Staunen. „Das ist eine schöne Zeit her; wie mancherlei Gäste mag dieser Saal seit jener Zeit gesehen haben!“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 472–473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_239.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)