Seite:De Wilhelm Hauff Bd 3 244.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

schöne Anna zu freien, sie in die Mark zu führen, oder, wenn ihm das Leben in Schwaben besser gefallen sollte, mit ihr in die Residenz zu ziehen und für den Sommer Thierberg wieder in stand setzen zu lassen.

Der Alte empfing ihn mit einem herzlichen Morgengruß und derben Händedruck, und Anna erschien ihm heute noch freundlicher und zutraulicher als gestern. Das Tagewerk der Knechte wurde in seiner Gegenwart angeordnet, und mit Wonne sah er Anna eine Geschäftigkeit im Hauswesen entfalten, die er der feingebildeten jungen Dame nicht zugetraut hätte. Auch über ihre eigenen Geschäfte sprachen die Bewohner des Schlosses. Der Alte wollte vormittags mit seinem Verwalter rechnen, Anna den Gast unterhalten und einen Spaziergang mit ihm ins Thal hinab machen. Nach Tisch wollte sie bei einigen Damen in der Nachbarschaft Besuche abstatten, der Alte das Stück Wald, das ihm noch eigen gehörte, mustern, und Albert sollte ihn begleiten. Der Abend sollte sie alle zum Spiel vereinigen. So angenehm dem jungen Mann die Aussicht war, einen ganzen Vormittag mit der schönen Kousine zu verleben, so erschreckte ihn doch ein so langer Waldspaziergang mit dem ernsten Onkel, der alle Augenblicke die sonderbarsten, vielseitigsten Kenntnisse verriet und in so hohem Alter noch ein Wortgedächtnis hatte, vor welchem jenem graute. „Wie, wenn er dich den ganzen Nachmittag ausfragte, was du gelernt hast!“ sagte er zu sich. „Wie schnöde wird es dann an den Tag kommen, welche Lehrstühle und Säle in Berlin du nicht besucht, und wie schnell wird er ahnen, welche du besucht hast.“ Einiger Trost für ihn war seine geläufige Zunge und ein wenig Disputierkunst, das einzige, was ihm von seinem Hofmeister übriggeblieben war. Doch wie einen zum Galgen Verdammten das Henkermahl noch erfreut, das ihm der Nachrichter zu- und anrichten muß, so richtete sich seine geängstigte Seele an der schönen Gegenwart auf. Und welcher Himmel ging ihm erst auf, als der Onkel, nachdem er schon Hut und Stock ergriffen hatte, sich noch einmal zu seinem Neffen wandte. „Noch etwas!“ sagte er zu ihm, „solange Thierberg steht, ist es Sitte, daß die nächsten Verwandten gleicher Linie mit Du unter sich reden; ich [483] denke, du wirst mit Anna keine Ausnahme machen, weil du hundert Meilen nördlicher geboren bist.“

Anna lächelte und schien es ganz in der Ordnung zu finden, aber mit freudeglühenden Wangen sagte der junge Mann zu; dankbar blickte er dem alten Oheim nach, der ihm in diesem Augenblick wie ein Bote der Liebe erschien. Leider vergaß er dabei, daß dieses Du nicht das süße, heimliche Du der Liebe sei, und daß ein so nahes Verhältnis zwar der Freundschaft förderlich, für die entstehende Liebe aber ein Hindernis sein könnte.

„Und du wolltest mir gestern abend noch Instruktionen geben“, – sagte er, indem er sich in das Fenster zu dem Fräulein setzte. „Es ist mir angenehm, wenn du mir recht viel vom Onkel sagst, ich habe ihn mir durchaus anders gedacht, und daher kam nun wohl gestern abend mein Mißgriff.“

„Wie hast du dir ihn denn gedacht?“ fragte Anna.

„Nun, ich setzte mir aus dem, was Mutter und Vater erzählten, ein Bild zusammen, das nun freilich nicht paßt. Seit mein Vater Kammerjunker an eurem Hofe war und nachher die Mutter nach Preußen heimführte, mögen es doch etwa dreißig Jahre sein. Damals war wohl Onkel etwa fünf- bis sechsunddreißig Jahre alt, und man nannte ihn noch immer den Junker, denn der Großvater Thierberg lebte noch. Mein Vater beschreibt ihn nun gar komisch, wenn er auf ihn zu sprechen kommt. Er war hier im Schloß aufgewachsen, unter der Aufsicht seines Herrn Papa und seiner Frau Mama. Die guten Großeltern könnte ich malen. Sie müßten in den geblümten und ausgenähten Fauteuils sitzen, aufrecht und anständig frisiert; die Großmama in einem blauseidenen Reifrock, der Großpapa in einem verschossenen Hofkleid. Sie sind die regierende Familie in ihrem Land, der Amtmann und der Pastor ihr Hofstaat. Der Erbprinz lernte hier nicht viel mehr, als sich anständig verbeugen, die Hand küssen, reiten und jagen, und die Prinzessinnen sollen ihn an Bildung weit übertroffen haben. Die zwei Jahre Garnisonsleben bei den Reichstruppen hatten ihn nicht gerade verfeinert, und so soll er immer zur größten Lust der Verwandten gedient haben, wenn er um die Zeit, da man alljährlich die Remontepferde von

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 482–483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_244.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)