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„Um so schwerer“, setzte Anna hinzu, „wenn man ein Recht und gesetzliche Ansprüche darauf zu haben glaubt. Hätte man jene Bande sanft gelöst, man würde sich nach und nach gewöhnt haben; so aber war es das Werk eines Augenblicks. Vermögen, Ansehen und Würden gingen zugleich verloren, und mancher wurde geflissentlich gekränkt. So wurde der Unmut über die Veränderungen zur Erbitterung. Der Vater hat oft erzählt, wie sie ihm an einem Tage alle Familienwappen von den Wänden gerissen, das Vieh geschätzt, Pferde weggeführt, die Braupfannen versiegelt und für Staatseigentum erklärt haben; die Mutter war krank, der Vater außer sich gebracht durch höhnische Behandlung der neuen Beamten, und um das Unglück vollkommen zu machen, legten sie fünfundsiebenzig Franzosen in dieses Schloß, die nicht plündern, aber ungestraft stehlen durften, und wenn sie weiter zogen, nur ebensoviel neuen Gästen Platz machten.“

„Wahrhaftig!“ rief Albert, „ein solches Schicksal hätte wohl auch den fröhlichen Junker ernst machen müssen!“

„Wie es ging, weiß ich nicht; nur so viel nahm ich mir aus Gesprächen ab, daß er seit jener Zeit ganz verändert sei. Er hielt sich meistens zu Hause, las viel und studierte manches. Er gilt jetzt in der Gegend für einen Mann, der viel weiß, und muß in manchen Fällen Rat geben. Doch um auf die Instruktionen zu kommen, die ich dir erteilen wollte, so kannst du sie aus dem, was ich dir erzählte, selbst abnehmen. Berühre nie die früheren politischen Verhältnisse, wenn du ihn nicht wehmütig machen willst, sprich nie von dem Kaiser –“

„Von welchem Kaiser?“ unterbrach sie der Vetter.

„Nun, von Napoleon, wollte ich sagen; er sieht ihn als den Urheber aller seiner Leiden an, und wenn etwa der General in diesen Tagen kommen sollte, laß dich in keinen politischen Diskurs ein; sie sind schon so heftig aneinander geraten.“

„Wer ist denn der General“, fragte Albert, „hat nicht dein Vater mich gestern aufgefordert, mit ihm über die neuere Kriegszucht zu sprechen?“

„Der General Willi ist unser Nachbar“, erwiderte Anna, „und wohnt eine halbe Stunde von hier, den Neckar abwärts. [487] Er gehört so sehr der neueren Zeit an, als der Vater der alten, und ich kann ihm seine Art, zu denken, ebensowenig verargen, als meinem Vater. Er machte in den früheren Feldzügen eine sehr schnelle Karriere, und der Kaiser selbst soll ihn im Feldzuge von 1809 beredet haben, unsern Dienst zu verlassen und in die Garde zu treten. Er war mit in Rußland, wurde bei Chalons gefangen und zog sich nachher gänzlich zurück. Hier hat er nun ein Gut gekauft, ist ein sehr vermöglicher Mann und lebt im stillen seinen Erinnerungen. Du kannst dir denken, daß ein Mann, der in solchen Verhältnissen seine schönsten Jahre lebte, wohl auch noch heute von der Sache, für welche er einst focht, eingenommen ist; er ist, was man so nennt, ein eigensinniger Napoleonist und hat wenigstens so gut als irgend einer Grund dazu.“

„Wenn er ein Franzose wäre“, entgegnete Albert, „dann möchte es ihm hingehen. Aber für einen Deutschen schickt es sich doch wahrhaftig nicht. Es war keine Sache, für welche er focht, sondern ein Phantom.“

„Streiten wir nicht darüber“, fiel ihm Anna ins Wort. „Ich bin überzeugt, wenn du diesen liebenswürdigen, edlen Mann kennen lernst, wirst du ihm seinen Enthusiasmus vergeben.“

„Wie alt ist der denn?“ fragte jener befangen.

„Ein guter Fünfziger“, erwiderte Anna lächelnd. „Mir aber scheint er, wie gesagt, für seine Gesinnungen ein so gutes Recht zu haben als der Vater. Wurde ja doch auch, was ihm groß und erhaben deuchte, zerstört und verhöhnt, und du weißt, daß dies nicht der Weg ist, die Menschen mit dem Neueren auszusöhnen. Die beiden Herren haben große Zuneigung zu einander gefaßt, obgleich sie in ihren Meinungen so schroff einander gegenüberstehen. Oft kömmt es unter ihnen zu so heftigem Streit, daß ich immer einmal einen wirklichen Bruch der nachbarlichen Verhältnisse voraussehe. Ich glaube, wenn mehr Damen zugegen wären, würde es nie so weit kommen, aber leider hat auch der General vor einigen Jahren seine Frau verloren. Sie war eine treffliche Frau, und meine Mutter schätzte sie sehr; der Vater konnte es ihr aber nie vergeben, daß sie eine Bürgerliche war, und seine

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 486–487. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_246.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)