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Schwester, die jetzt eben bei ihm ist, pflegt immer nur auf kurze Zeit einzukehren.“

Der alte Thierberg, der in diesem Augenblick von seinem Amtmann zurückkam, unterbrach dieses Gespräch, das der junge Mann noch lange hätte fortsetzen mögen; denn Base Anna erschien ihm, wenn sie lebhaft sprach, wenn ihre Augen während ihrer Rede immer heller glänzten und ihre zarten Züge jede ihrer Empfindungen abspiegelten, immer reizender, liebenswürdiger zu werden, und er glaubte aus dem Vergnügen, das ihr die Unterhaltung mit ihm zu gewähren schien, nicht mit Unrecht einen günstigen Schluß für sich ziehen zu dürfen.


6.

Von allen seinen früheren reichsfreiherrlichen Rechten war dem alten Thierberg nur die Ernennung oder, wie man es dort nannte, die Präsentation des Schulmeister übriggeblieben, und er verwünschte auch diesen letzten Rest ehemaliger Größe und Gewalt, als er nachmittags zwei Schulamtskandidaten mit dem Thierberger Prediger ins Schloß treten sah. Er hieß seinen Neffen allein in den Wald vorausgehen und versprach, bald zu folgen. Der junge Mann wanderte langsam jenen Weg hinan, welchen ihn Anna zuerst geführt hatte. Oft stand er stille und sah zurück auf diese altertümliche Burg, und gerne verweilte sein Auge auf jenem Turm, in dessen Zimmerchen Anna wohnte. Wie liebte er dieses klare, ruhige, natürliche Wesen, gepaart mit so viel Anstand und mit so feiner Bildung! Er konnte sich auf nichts Ähnliches besinnen. Oft wollten zwar in seiner Erinnerung die Damen der Mark diesem Schwabenkind den Vorrang streitig machen. Es deuchte dem jungen Mann, er habe elegantere Formen gesehen, gewandter, zierlicher sprechen gehört; er rief sich jede einzelne Schönheit, die ihn sonst bezauberte, zurück, aber er bekannte, daß es gerade diese Unbefangenheit, diese Ruhe sei, was ihm so überraschend, so neu, so liebenswürdig erschien. „Sie ist zu verständig, zu ruhig, zu klar, um jemals recht lieben zu können“, fuhr er in seinen Gedanken fort, „aber schätzen wird sie mich, sie [489] wird Interesse an mir finden. Und gerade diese Klarheit, diese Art, über das Leben zu denken, muß ihr andere, bessere Verhältnisse längst wünschenswert gemacht haben. Bequeme, elegante Wohnung, eine geschmackvolle Garderobe, Wagen, Pferde, Bediente, eine ausgesuchte Bibliothek, das sind die Dinge, welche in einem solchen kalten Herzen die Liebe ersetzen; so unbefangen sie ist, so weiß sie doch in ihrer Unbefangenheit die Dame recht wohl zu spielen, und wirklich – es muß ihr als Frau von Rantow allerliebst stehen!“

Der junge Mann war unter diesen Träumen einer schönen Zukunft auf einer Höhe angelangt, wo er einen Teil des reizenden Neckarthales überschauen konnte. Vorwärts zu seiner Linken gewahrte er eine Waldspitze, die weit vorsprang und ihm die Aussicht auf den andern Teil des Thales verdeckte. Er verglich sie mit der Lage des Schlosses und fand, es müsse dieselbe Bergspitze sein, von welcher gestern jene süßen Flötenklänge herübertönten. Von dort aus, hatte ihm Anna gesagt, könne man einen weiten, freien Blick über das ganze Thal genießen, und rasch beschloß er, nicht erst den Oheim abzuwarten, sondern im Genuß einer herrlichen Aussicht auf jener Waldecke seinen Gedanken nachzuhängen. Er hatte sich die Richtung gut gemerkt, und nicht lange, so trat er auf diesen reizenden Platz heraus. Das Thal schwenkte sich in einem schönen Bogen an Thierberg vorüber um diese Bergecke. Rechts und bei weitem näher, als Albert gedacht hatte, lag die Burg, durch eine breite Waldschlucht von dieser Stelle getrennt. Man konnte mit einem guten Fernglas deutlich in die Fenster von Thierberg sehen, und der junge Mann ergötzte sich eine Zeitlang an den Zügen des Pastors und seines Oheims, die in eifrigem Gespräch an der Fensterbrüstung standen. Auch Annas Turmfenster war geöffnet, aber statt ihrer holden Züge sah man nur einen kleinen Orangenbaum, den sie an die Sonne gestellt hatte. In der Mitte des Thales zog in kleineren Bogen der Neckar hin, viele freundliche Halbinseln bildend, und in kleiner Entfernung entdeckte das Auge des jungen Mannes ein neues Schloß, in dessen Fenstern sich die Mittagssonne spiegelte. Es was in gefälligem, italienischem Stil aufgebaut, die Säulen und

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 488–489. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_247.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)