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ihn, von seiner Lorgnette Gebrauch zu machen, und doch war sie ihm nie so nötig gewesen als in diesem Augenblick, denn er glaubte gesehen zu haben, wie der junge Willi Annas Hand ergriff und – an seine Lippen führte. Der General mochte die Unruhe und Zerstreuung des jungen Mannes bemerken; er ging mit Rantow dem Baumgang zu, und als Anna sie herankommen sah, ging sie ihnen mit Willi entgegen. Des Generals Schwester, eine würdige Dame, welcher Annas Besuch galt, kam in diesem Augenblick herzu, und da in ihrer Gegenwart nichts Politisches, das zum Streit führen konnte, abgehandelt werden durfte, so zog es die Gesellschaft vor, ihrer Einladung zu folgen und unter der Halle des Schlosses den Wein des Generals und die schönen Früchte seiner Gärten zu kosten. Man beschloß, daß der General und sein Sohn morgen den Besuch auf Thierberg erwidern sollten, und so schieden die beiden Willi, als ihre Gäste in den Kahn stiegen, mit Ehrfurcht von Anna, mit der Herzlichkeit alter Freunde von Rantow.


8.

Der Gast aus der Mark, obgleich er in jedem Damenkreis seiner Heimat mit jener Sicherheit aufgetreten war, welche man sich durch Erziehung und gehöriges Selbstvertrauen erwirbt, obgleich er sich in Berlin manches schwierigen Sieges hatte rühmen können, fühlte sich doch nie in seinem Leben so befangen als an jenem Abend, wo er mit Anna am Neckar hin nach Thierberg zurückkehrte. Tausend Zweifel plagten und quälten ihn, und jetzt erst, als ihm der letzte Blick, den Anna dem jungen Willi zugeworfen hatte, zu feurig für bloße Achtung, zu zögernd für gute Nachbarschaft geschienen hatte, jetzt erst fühlte er, wie mächtig schon in ihm die Neigung zu seiner schönen Base geworden sei. Zwar, wenn er seine eigene Gestalt, sein ausdrucksvolles Gesicht, sein sprechendes Auge, seine gewählte und reiche Sprache, seine eleganten Formen, die Sicherheit und Gewandtheit seines Geistes, kurz, wenn er alle seine Vorzüge mit Robert Willis Eigenschaften maß, so glaubte er sich doch ohne Anmaßung trösten zu können; fehlte doch jenem, wenn er sich auch gut auszudrücken vermochte, [509] jener unnachahmliche Tonfall der Sprache, fehlte ihm, wenn man ihm auch Anstand und Würde nicht streitig machen konnte, jene letzte Vollendung und Feinheit eines modischen Wundervogels (Incroyabilis Linn.), jenes unnachahmliche Genie des Geschmackes, das angeboren sein muß; es fehlt ihm, so schloß der Berliner mit heimlichem Lächeln bei sich selbst, jenes je ne sais quoi, das den Geschöpfen Gottes das Siegel der Veredelung und Vollendung aufdrückt und auch den gewöhnlichen Menschen zu einem homme comme il faut macht! Aber Anna ist hier auf dem Lande, ist in Schwaben aufgewachsen, fuhr er fort, sie könnte, ehe sie mich sah, mit Robert Willi – „Anna, ein Frage“, sprach er ängstlich zu ihr, nachdem sie eine geraume Weile still fortgewandelt waren, „und nimm doch diese Frage nicht übel auf! Liebst du diesen jungen Willi? Stehst du mit ihm in einem Verhältnis?“

Das Fräulein vom Thierberg errötete leicht über diese Frage, und diese Röte konnte ebensogut der Frage als dem Gegenstand gelten, den sie berührte. „Wie kömmst du auf diesen Einfall, Vetter?“ erwiderte sie, „und meinst du denn, wenn ich auch das Unglück haben sollte, diesen Willi zu lieben, was mir übrigens noch nie in den Sinn kam, ich würde etwa dich zum Vertrauten in meinen Herzensangelegenheiten wählen, weil ich dich schon seit zwei Tagen kenne? Mein Gott, Vetter“, setzte sie schalkhaft lächelnd hinzu, „was seid ihr doch für närrische Leute in Preußen!“

„Ich will mich ja durchaus nicht in dein Geheimnis drängen, hochedle und gestrenge Dame“, sagte er, „aber meinst du denn, dein langes und, wie es schien, interessantes Gespräch mit ihm sollte mir nicht aufgefallen sein? Meinst du, ich glaube, ihr habt nur von Versen gesprochen?“

„Wenn ich nun sagte, wir haben nur von Versen gesprochen“, entgegnete sie eifrig, „so müßtest du es doch glauben. Leuten, die gerne Arges denken, fällt alles auf. Diesmal übrigens hat sich dein Scharfsinn nicht betrogen; das übrige Gespräch drehte sich auch noch um etwas anderes als Verse, um ein Geheimnis, ein gar wichtiges Geheimnis.“

„Also doch?“ – rief der junge Mann, mit ungläubiger Miene. „Siehst du, also doch!“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 508–509. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_257.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)