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strengte sein Ohr an, ob er nicht auch den leichten Tritt seiner Base vernehme, die Thüre öffnete sich, und sie erschien mit Hans und ihrem Mädchen, er sah ihrer Kleidung und ihren Augen an, daß sie noch nicht geschlummert hatte. Noch ehe sie fragen konnte, reichte er ihr schnell das Billet und sagte französisch in wenigen Worten, wie er es erhalten habe. Eine hohe Röte flammte über das schöne Gesicht, solange er sprach. Sie wagte es nicht, die zarten Augenlider aufzuschlagen; doch kaum hatte sie einen Blick auf die Zeilen geworfen, so erbleichte sie, sah ihn mit großen Augen erschrocken an und zitterte so heftig, daß sie sich an dem Tisch halten mußte.

„Ich muß sogleich hinübereilen“, sagte er näher tretend, „und nur darum habe ich dich rufen lassen, daß du mir ein Mittel angebest, wie ich durch den Fluß komme. Ich möchte bei den Domestiken nicht gerne Aufsehen erregen.“

„Zu Pferd, schnell zu Pferd!“ rief sie hastig, indem sie bebend seine Hand ergriff. „Schwimm hinüber, und dann schnell nach Neckareck.“

„Aber bei Nacht?“ erwiderte er zaudernd. „Ich kenne die Stelle nicht, wo man durchkommen kann, der Fluß ist tief und reißend.“

„Führe mir des Vaters Pferd heraus, Hans!“ wandte sie sich an den erschrockenen Diener. „Schnell, du begleitest mich, ich will selbst hinüber!“

„Führe es heraus, Alter, aber für mich!“ fiel Rantow unmutig ein. „Wie magst du mich so verkennen, Anna? Du wirst mir den Weg zu einer Stelle zeigen, wo ich durch den Neckar kommen kann.“

„Nein, so geht es nicht!“ sagte sie beinahe weinend und sank auf einen Stuhl nieder. „Du wirst nicht hinüberkommen. Führe ihn durchs Dorf hinab, Hans, mach’ unsern Kahn los und schiffe den Vetter hinüber. Du mußt zu Fuß hinüber, Albert, in einer halben Stunde kannst du dort sein. O Gott! ich habe es ja schon lange geahnt, daß es so kommen würde; sag’ ihm, er soll nicht zögern, ich wolle ihn überall lieber wissen als in einem Kerker!“

Der junge Mann drückte ihr schweigend die Hand und winkte dem Alten, zu gehen. Nie zuvor hätte er sich für fähig gehalten, [519] so schönen Hoffnungen so schnell zu entsagen, aber der Gedanke an die schöne, kummervolle Anna, die er bis jetzt nur lächelnd gesehen hatte, spornte ihn zu immer schnelleren Schritten, und so mächtig ist in einem Herzen, daß die Selbstsucht noch nicht ganz umsponnen hat, das Gefühl, in einem entscheidenden Moment Hülfe oder Rettung zu geben, daß er in diesem Augenblick in dem jungen Willi nur einen Unglücklichen und nicht Annas Geliebten sah.

Am Ufer schloß der Alte schnell den Kahn los und bat den Gast, sich ruhig niederzusetzen; aber dennoch konnte Albert diesem Gebot nicht völlig Folge leisten, denn als sie ungefähr die Mitte des Neckars erreicht hatten, hörte man deutlich den Hufschlag von Pferden und das Rollen eines Wagens von der Landstraße her, die sich jenseits dem Ufer näherte. Er richtete sich auf, trotz dem Schelten des Alten und dem unruhigen Schaukeln des Kahns, und sah im Schein einiger Laternen einen Wagen mit vier Pferden, von einigen wie es schien bewaffneten Reitern begleitet, vorüberfahren. „Ist dies eine Hauptstraße?“ fragte er den alten Hans. „Kann dies vielleicht ein Postwagen sein, der dort fährt?“

„Hab’ hier noch nie einen gesehen“, erwiderte jener mürrisch; „und um einen Postwagen zu sehen, möchte ich kein kaltes Bad im Neckar wagen.“

„Schnell! Wo geht man nach Neckareck, nach dem Gut des Generals?“ fragte Albert, welcher besorgte, er möchte zu spät gekommen sein. „Spute dich, Alter!“

„So lassen Sie mich doch den Kahn erst wieder anschließen!“ sagte Hans. „Doch wenn Sie Eile haben, nur hier links immer die Straße fort, sie führt gerade auf das Schloß zu; ich will schon nachkommen.“

Der junge Rantow lief mehr, als er ging. Der Alte keuchte mühsam hinter ihm her, aber so oft er ihn erreicht hatte, lief jener wieder schneller, als würde er verfolgt. Endlich sah er das Schloß mit seinen weißen Säulen durch die Nacht schimmern; es fiel ihm ängstlich auf, daß viele Fenster erleuchtet waren, und als er näher kam, sah er deutlich Menschen an den Fenstern hin und her laufen. Der Schrecken dieser Nacht und die ungewöhnlich

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 520–521. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_263.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)