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Mund nehmen? Wisse – ich habe entdeckt, daß Anna den – den von drüben – nun, daß sie den Sohn des Generals liebt. Zum Teufel, Junge! du erwiderst nichts? Wie magst du so – so gleichgültig aussehen, wenn von der Ehre deiner Familie die Rede ist? Rede!“

„Ich kann nichts hierin sehen“, entgegnete der junge Mann trotzig, „was etwa der Thierbergschen Ehre zu nahe treten könnte. Der alte Willi ist von Adel, ist ein berühmter General, ist reich –“

„Also abkaufen sollen wir uns unsere Ehre lassen, abhandeln? – Bursche, wenn du nicht mein Neffe wärest – Gott strafe mich, aber ich kenne mich selbst nicht, wenn ich in Wut bin. – Reich? Siehe, für so schlecht und niederträchtig halte ich mein Kind selbst nicht, daß es daran gedacht haben sollte. Siehe dich um – soweit du sehen kannst, war einst alles – alles mein; ich habe nichts mehr als diese verfallenen Türme und eine Hufe Landes, wie der gemeinste Bauer, aber auch dieses soll diese Nacht noch hinfahren, in den Schuldturm soll man mich werfen, mich auspfänden, mein altes Wappen entzweischlagen, wenn ich je zugebe –“

„Oheim!“ fiel ihm der Neffe erbleichend ins Wort, „bedenken Sie sich zuvor, ehe Sie einen solchen Frevel aussprechen! Was kann dieser junge Mann dafür, daß sein Vater reich ist? Beträgt er sich denn aufgeblasen? Macht er Ansprüche auf seinen Reichtum? Ich sagte es ja vorhin nur so in der Übereilung.“

„Nein, das thun sie nicht die Willis“, antwortete nach einer Pause der Alte, „das ist noch ihre gute Seite. Aber das macht ihn nicht besser. Seine Grundsätze sind es, die ich hasse; er ist mein bitterster Feind!“

„Wie wäre dies möglich?“ erwiderte Rantow beruhigend. „Wie könnte er Ihr persönlicher Feind sein!“

„Was, persönlicher Feind!“ rief Thierberg heftiger. „Solche Feindschaft kenne ich nicht, und mein Feind müßte ein anderer sein als dieser Knabe; aber ein Todfeind bin ich all diesem Wesen, diesen Neuerungen, diesem Deutschtum, Bürgertum, Kosmopolitismus, und welche Namen sie dem Unsinn geben mögen, und dessen treuester Anhänger eben dieser junge Mensch da ist. Das [529] ganze erste Viertel des neunzehnten Jahrhunderts hatte den verdammten Geschmack dieses Unwesens, und man wird sehen, wohin es im jetzigen kömmt, wenn diese Menschen und ihre Gesinnungen um sich greifen; aber, so wahr Gott lebt, man soll von dem letzten Thierberg nicht sagen können, daß er in seinen alten Tagen einem dieser Weltverbesserer die Hand zur Unterstützung gereicht hätte!“

„Aber Oheim!“ fiel Albert ein, dem es in diesem entscheidenden Augenblicke keine Sünde deuchte, gegen seine eigene Überzeugung zu sprechen, „gibt es denn in diesem Jahrhundert auch nur eine Familie, die nicht, wenn man sie einzeln durchginge, die verschiedensten Gesinnungen in sich schlösse? Wird denn der einzelne Mann dadurch schlechter, daß er eine andere Meinung hat als wir? Ist nicht Protestant und Katholik in den Augen des Vernünftigen gleich viel wert? Denkt nicht der General selbst ganz verschieden von seinem Sohn?“

„Laß mir den Glauben aus dem Spiel, Neffe!“ entgegnete jener. „Darüber zu richten geht weder dich noch mich an. Aber dieser General vollends, der meinen Todfeind als Schutzpatron anbetet und diesen Buonaparte für den heiligen Georg hält, der den Lindwurm des veralteten Jahrhunderts tötete; diesen in meiner Familie! Es würde mich töten!“

„Aber wissen Sie denn, ob auch der junge Willi Ihre Tochter liebt? Hat denn Anna irgend etwas gestanden?“

Der Alte sah seinen Neffen bei dieser Frage lange und erschrocken an; dann fuhr er nach einigem Nachsinnen gefaßter fort. „Nein! Einer solchen Schmach halte ich sie nicht fähig; meinst du, meine Tochter werde sich in einen solchen – Menschen verlieben, ohne daß er sie zuvor mit tausend Künsten dazu verlockte? Nein! Dazu ist sie mir noch immer zu gut; aber – ich will mir Gewißheit verschaffen!“

Er sprach es, und noch ehe ihn Rantow aufhalten konnte, eilte der alte Mann hinweg, um seine Tochter zu Rede zu stellen. Düster schaute ihm der Gast aus der Mark nach. „Wahrlich, wenn die Aktien so stehen, werde ich weder Brautführer noch Hochzeitgast in Thierberg sein“, sprach er. „Der Alte müßte sich

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 528–529. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_267.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)