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Lächeln, das mehr und mehr in Wehmut überging. Es war eine französische Ode, aus welcher sie einige Stellen vortrug; die Melodie, bald heiter, ermunternd, bald erhaben und triumphierend, bald ernst und getragen, schmiegte sich an das wechselnde Versmaß und den Gedankengang der Strophen, und so süß war ihre Stimme, so ausdrucksvoll ihr Vortrag, so hinreißend ihr ganzes Wesen, das mit dem Gesang sich zu verschmelzen schien, daß die Männer, wenn sie gleich über den Gegenstand die verschiedensten Gesinnungen hegten, doch von dem Strom der Töne mit fortgerissen wurden. Wie erhaben war ihr Vortrag, als sie sang:

„Cachez ce lambeau tricolore …
C’est sa voix: il aborde, et la France est à lui.“

Ernst, beinahe traurig, doch nicht ohne Triumph, fuhr sie fort:

„Il la joue, il la perd; l’Europe est satisfaite
Et l’aigle, qui, tombant aux pieds du Léopard,
Change en grand capitaine un héros de hasard,
Illustre aussi vingt rois, dont la gloire muette
N’eût jamais retenti chez la postérité;
     Et d’une part dans sa défaite,
Il fait à chacun d’eux une immortalité.“
[AU 1]

Als sie geendet hatte, legte sie die Guitarre nieder und ging, während die Männer noch in verlegener Stille saßen, schnell hinweg.

„Il la joue, il la perd“, sprach der alte Thierberg lachend, „eine große Wahrheit! Und dieser Dichter, wer er auch sein mag, konnte jenen Mann nicht besser schildern; seine ganze Größe bestand ja nur darin, daß er das rouge et noir so hoch als möglich spielte, und der alte Satz, daß der kaltblütigste Spieler endlich gewinnt, bestätigte sich an ihm. Der Leopard hat doch die Bank gesprengt, und Wellington[1] wird es eben darum keinen Kummer machen, wenn man ihn héros de hazard[WS 1] nennt.“

[537] „Wie lächerlich sind solche Hyperbeln“, rief Rantow, „als ob zwanzig Könige ihren Nachruhm, ihre Unsterblichkeit diesem Sommerkönig zu verdanken hätten! Was uns betrifft wenigstens, so wird man eingestehen müssen, daß der Ruhm der preußischen Waffen älter ist als der des sogenannten Siegers von Italien, und nicht erst von der großen Nation geadelt werden mußte.“

„Und dennoch“, erwiderte der General mit großer Ruhe, „dennoch wird man einst nicht sagen, es war Buonaparte, der zur Zeit dieses oder jenes Königs lebte – man wird sagen, Herr von Rantow, sie waren Zeitgenossen Napoleons; doch was den Obergeneral des englischen Heeres in der Bataille von Mont St. Jean[2] betrifft, so möchte es die Frage sein, ob ihm der Titel héros de hazard sehr angenehm ist; so viel ist wenigstens gewiß, daß er jene Schlacht nicht gewonnen, sondern nur – nicht verloren hat.“

„Es ist ein Glück für die Welt“, bemerkte Thierberg lächelnd, „daß man Ihren Satz umkehren kann, und daß er dann noch höhere Wahrheit enthält; Ihr Herr und Meister hat jene Schlacht zwar nicht gewonnen, aber desto gewisser verloren.“

„Er hat sie verloren“, antwortete der General. „Was die Welt damit verlor, will ich nicht aussprechen, aber jene Strophe, womit Anna ihren Gesang schloß, drückt aus, wer noch am Abend jenes unglücklichen Tages, als Cäsar und sein Glück von der Übermacht zerschmettert wurden, als meine braven Kameraden auf Mont St.-Jean den letzten Atem aushauchten – der Größere war.“

„Der Größere! Und dies können Sie noch fragen, General?“ entgegnete heftig der junge Mann aus der Mark. „Als die Strahlen der Abendröte über jenes denkwürdige Feld streiften, beleuchtend die Schande Frankreichs und sein verwirrtes Heer, als blutend, aber unbesiegt, das englische Heer jene Hügel deckte und Deutschlands Völker stolzen Schrittes in die Ebene herabstiegen, um den Kampf siegend zu entscheiden – denken Sie sich, ich bitte, jenen erhabenen Moment, und sagen Sie mir, wer da der Größere war?“


  1. Sept. Messéniennes nouvelles par M. C. Delavigne. 1re: Le départ.

  1. Der britische Feldherr Arthur Wellesley, Herzog von Wellington (1769–1852), siegte bekanntlich mit Blücher über Napoleon in der Schlacht bei Waterloo am 18. Juni 1815.
  2. So wird von den Franzosen die Schlacht von Belle-Alliance oder Waterloo genannt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Held des Zufalls
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 536–537. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_271.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)