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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

denken: Jetzt muß vielleicht mein armer Kairam hungern und dürsten? Und wenn er sich bekleidet mit reichen Schals und Festkleidern, wie es sein Amt und seine Würde will, muß er nicht denken: Jetzt hat er wohl nicht, womit er seine Blöße deckt? Und wenn er umgeben ist von Sängern und Tänzern und Vorlesern, seinen Sklaven, denkt er da nicht: Jetzt muß wohl mein armer Sohn seinem fränkischen Gebieter Sprünge vormachen und musizieren, wie er es haben will? Und was ihm den größten Kummer macht: er glaubt, der kleine Kairam werde, so weit vom Land seiner Väter und mitten unter Ungläubigen, die seiner spotten, abtrünnig werden vom Glauben seiner Väter, und er werde ihn einst nicht umarmen können in den Gärten des Paradieses!

„Darum ist er auch so mild gegen seine Sklaven und gibt große Summen an die Armen; denn er denkt, Allah werde es vergelten und das Herz seiner fränkischen Herren rühren, daß sie seinen Sohn mild behandeln. Auch gibt er jedesmal, wenn der Tag kömmt, an welchem ihm sein Sohn entrissen wurde, zwölf Sklaven frei.“

„Davon habe ich auch schon gehört“, entgegnete der Schreiber. „Aber man trägt sich mit wunderlichen Reden. Von seinem Sohn wurde dabei nichts erwähnt; wohl aber sagte man, er sei ein sonderbarer Mann und ganz besonders erpicht auf Erzählungen. Da soll er jedes Jahr unter seinen Sklaven einen Wettstreit anstellen, und wer am besten erzählt, den gibt er frei.“

„Verlasset Euch nicht auf das Gerede der Leute“, sagte der alte Mann; „es ist so, wie ich es sage, und ich weiß es genau; möglich ist, daß er sich an diesem schweren Tage aufheitern will und sich Geschichten erzählen läßt; doch gibt er sie frei um seines Sohnes willen. Doch der Abend wird kühl, und ich muß weitergehen. Schalem aleikum[1], Friede sei mit euch, ihr jungen Herren, und denket in Zukunft besser von dem guten Scheik!“

Die jungen Leute dankten dem Alten für seine Nachrichten, schauten noch einmal nach dem trauernden Vater und gingen die Straße hinab, indem sie zueinander sprachen: „Ich möchte doch nicht der Scheik Ali Banu sein.“


Nicht lange Zeit, nachdem diese jungen Leute mit dem alten Mann über den Scheik Ali Banu gesprochen hatten, traf es sich, daß sie um die Zeit des Morgengebets wieder diese Straße gingen. Da fiel ihnen der alte Mann und seine Erzählung ein, und sie beklagten zusammen den Scheik und blickten nach seinem Hause. Aber wie staunten sie, als sie dort alles aufs herrlichste ausgeschmückt fanden! Von dem Dache, wo geputzte Sklavinnen spazieren gingen, wehten Wimpeln und Fahnen, die Halle des Hauses war mit köstlichen Teppichen belegt, Seidenstoff schloß sich an diese an, der über die breiten Stufen der Treppe gelegt war, und selbst auf der Straße war noch schönes feines Tuch ausgebreitet, wovon sich mancher wünschen mochte zu einem Festkleid oder zu einer Decke für die Füße.

„Ei, wie hat sich doch der Scheik geändert in den wenigen Tagen!“ sprach der junge Schreiber. „Will er ein Fest geben? Will er seine Sänger und Tänzer anstrengen? Seht mir diese Teppiche! Hat sie einer so schön in ganz Alessandria! Und dieses Tuch auf dem gemeinen Boden, wahrlich, es ist schade dafür!“

„Weißt du, was ich denke?“ sprach ein anderer. „Er empfängt sicherlich einen hohen Gast; denn das sind Zubereitungen, wie man sie macht, wenn ein Herrscher von großen Ländern oder ein Effendi des Großherrn ein Haus mit seinem Besuche segnet. Wer mag wohl heute hieher kommen?“

„Siehe da, geht dort unten nicht unser Alter von letzthin? Ei, der weiß ja alles und muß auch darüber Aufschluß geben können. ‚Heda! Alter Herr! Wollet Ihr nicht ein wenig zu uns treten?‘“ So riefen sie; der alte Mann aber bemerkte ihre Winke und kam zu ihnen; denn er erkannte sie als die jungen Leute, mit welchen er vor einigen Tagen gesprochen. Sie machten ihn aufmerksam auf die Zurüstungen im Hause des Scheik und fragten ihn, ob er nicht wisse, welch hoher Gast wohl erwartet werde.

„Ihr glaubt wohl“, erwiderte er, „Ali Banu feiere ein großes Freudenfest, oder ein Besuch eines großen Mannes beehre sein



  1. Schalem aleikum, neben Salem aleikum fälschlich für Selam aleikum, d. h. Friede sei mit euch, die gewöhnliche Grußformel der Mohammedaner.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 20–21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_011.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)