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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Märchen erzählen lassen mag, und zwar von seinen Sklaven. Ich für meinen Teil, hätte ich einen solchen Kummer, so würde ich lieber hinausreiten in den Wald und mich setzen, wo es recht dunkel und einsam ist; aber auf keinen Fall dieses Geräusch von Bekannten und Unbekannten um mich versammeln.“

„Der Weise“, antwortete der alte Mann, „der Weise läßt sich von seinem Kummer nie so überwältigen, daß er ihm völlig unterliegt. Er wird ernst, er wird tiefsinnig sein, er wird aber nicht laut klagen oder verzweifeln. Warum also, wenn es in deinem Innern dunkel und traurig aussieht, warum noch überdies die Schatten dunkler Zedern suchen? Ihr Schatten fällt durch das Auge in dein Herz und macht es noch dunkler. An die Sonne mußt du gehen, in den warmen, lichten Tag, für was du trauerst, und mit der Klarheit des Tages, mit der Wärme des Lichtes wird dir die Gewißheit aufgehen, daß Allahs Liebe über dir ist, erwärmend und ewig wie seine Sonne.“

„Ihr habt wahr gesprochen“, setzte der Schreiber hinzu, „und geziemt es nicht einem weisen Mann, dem seine Umgebungen zu Gebot stehen, daß er an einem solchen Tage die Schatten des Grams soweit als möglich entferne? Soll er zum Getränke seine Zuflucht nehmen, oder Opium speisen, um den Schmerz zu vergessen? Ich bleibe dabei, es ist die anständigste Unterhaltung in Leid und Freude, sich erzählen zu lassen, und der Scheik hat ganz recht.“

„Gut“, erwiderte der junge Kaufmann, „aber hat er nicht Vorleser, nicht Freunde genug; warum müssen es gerade Sklaven sein, die erzählen?“

„Diese Sklaven, lieber Herr!“ sagte der Alte, „sind vermutlich durch allerhand Unglück in Sklaverei geraten und sind nicht gerade so ungebildete Leute, wie Ihr wohl gesehen habt, von welchen man sich nicht könnte erzählen lassen. Überdies stammen sie von allerlei Ländern und Völkern, und es ist zu erwarten, daß sie bei sich zu Hause etwas Merkwürdiges gehört oder gesehen, das sie nun zu erzählen wissen. Einen noch schöneren Grund, den mir einst ein Freund des Scheik sagte, will ich Euch wiedergeben: Diese Leute waren bis jetzt in seinem Hause als Sklaven, hatten sie auch keine schwere Arbeit zu verrichten, so war es doch immer Arbeit, zu der sie gezwungen waren, und mächtig der [67] Unterschied zwischen ihnen und freien Leuten. Sie durften sich, wie es Sitte ist, dem Scheik nicht anders als mit den Zeichen der Unterwürfigkeit nähern. Sie durften nicht zu ihm reden, außer er fragte sie, und ihre Rede mußte kurz sein. Heute sind sie frei; und ihr erstes Geschäft als freie Leute ist, in großer Gesellschaft und vor ihrem bisherigen Herrn lange und offen sprechen zu dürfen. Sie fühlen sich nicht wenig geehrt dadurch, und ihre unverhoffte Freilassung wird ihnen dadurch nur um so werter.“

„Siehe“, unterbrach ihn der Schreiber, „dort steht der vierte Sklave auf; der Aufseher hat ihm wohl schon das Zeichen gegeben, lasset uns niedersitzen und hören.“


Der gebackene Kopf.

„Herr“, fing der vierte Sklave zu erzählen an, „als ich noch in Stambul verweilte, begab sich daselbst folgende wunderbare Geschichte.“[1]

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Der Scheik äußerte seinen Beifall über diese Erzählung. Er hatte, was in Jahren nicht geschehen war, einigemal gelächelt, und seine Freunde nahmen dies als eine gute Vorbedeutung. Dieser Eindruck war den jungen Männern und dem Alten nicht entgangen. Auch sie freuten sich darüber, daß der Scheik, auf eine halbe Stunde wenigstens, zerstreut wurde; denn sie ehrten seinen Kummer und die Trauer um sein Unglück, sie fühlten ihre Brust beengt, wenn sie ihn so ernst und stille seinem Gram nachhängen sahen, und gehobener, freudiger waren sie, als die Wolke seiner Stirne auf Augenblicke vorüberzog.

„Ich kann mir wohl denken“, sagte der Schreiber, „daß diese Erzählung günstigen Eindruck auf ihn machen mußte; es liegt so viel Sonderbares, Komisches darin, daß selbst der heilige Derwisch auf dem Berge Libanon, der in seinem Leben noch nie gelacht hat, laut auflachen müßte.“

„Und doch“, sprach der Alte lächelnd, „und doch ist weder Fee noch Zauberer darin erschienen; kein Schloß von Krystall,



  1. Von James Justinian Morier, nicht von Hauff. Vgl. die Einleitung, oder S. 8, und die Anmerkung am Schlusse des Bandes.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 66–67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_034.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)