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an den Händen, mit welchen er den Leuten ins Gesicht fuhr und sie jämmerlich kratzte. Endlich gelang es einem mutigen Jäger, seiner habhaft zu werden. Er preßte ihm die langen Arme zusammen, daß er nur noch mit den Füßen zappelte und mit heiserer Stimme lachte und schrie. Die Leute sammelten sich umher und betrachteten den sonderbaren jungen Herrn, der jetzt gar nicht mehr aussah wie ein Mensch. Aber ein gelehrter Herr aus der Nachbarschaft, der ein großes Naturalienkabinett und allerlei ausgestopfte Tiere besaß, trat näher, betrachtete ihn genau und rief dann voll Verwunderung: „Mein Gott, verehrte Herren und Damen, wie bringen Sie nur dies Tier in honette Gesellschaft? Das ist ja ein Affe, der Homo Troglodytes Linnaei; ich gebe sogleich sechs Taler für ihn, wenn Sie mir ihn ablassen, und balge ihn aus für mein Kabinett.“

Wer beschreibt das Erstaunen der Grünwieseler, als sie dies hörten! „Was, ein Affe, ein Orang-Utang in unserer Gesellschaft? Der junge Fremde ein ganz gewöhnlicher Affe!“ riefen sie und sahen einander ganz dumm vor Verwunderung an. Man wollte nicht glauben, man traute seinen Ohren nicht, die Männer untersuchten das Tier genauer; aber es war und blieb ein ganz natürlicher Affe.

„Aber wie ist dies möglich!“ rief die Frau Bürgermeisterin. „Hat er mir nicht oft seine Gedichte vorgelesen? Hat er nicht wie ein anderer Mensch bei mir zu Mittag gespeist?“

„Was?“ eiferte die Frau Doktorin. „Wie? Hat er nicht oft und viel den Kaffee bei mir getrunken und mit meinem Mann gelehrt gesprochen und geraucht?“

„Wie! Ist es möglich!“ riefen die Männer. „Hat er nicht mit uns am Felsenkeller Kugeln geschoben und über Politik gestritten wie unsereiner?“

„Und wie?“ klagten sie alle. „Hat er nicht sogar vorgetanzt auf unsern Bällen? Ein Affe! Ein Affe? Es ist ein Wunder, es ist Zauberei!“

„Ja, es ist Zauberei und teuflischer Spuk“, sagte der Bürgermeister, indem er das Halstuch des Neffen oder Affen herbeibrachte. „Seht! In diesem Tuch steckte der ganze Zauber, der ihn in unsern Augen liebenswürdig machte. Da ist ein breiter [89] Streifen elastischen Pergaments, mit allerlei wunderlichen Zeichen beschrieben. Ich glaube gar, es ist Lateinisch; kann es niemand lesen?“

Der Oberpfarrer, ein gelehrter Mann, der oft an den Affen eine Partie Schach verloren hatte, trat hinzu, betrachtete das Pergament und sprach: „Mit nichten! Es sind nur lateinische Buchstaben, es heißt:

DER – AFFE – SEHR – POSSIERLICH – IST –
ZUMAL – WANN – ER – VOM – APFEL – FRISST –

Ja, ja, es ist höllischer Betrug, eine Art von Zauberei“, fuhr er fort, „und es muß exemplarisch bestraft werden.“

Der Bürgermeister war derselben Meinung und machte sich sogleich auf den Weg zu dem Fremden, der ein Zauberer sein mußte, und sechs Stadtsoldaten trugen den Affen; denn der Fremde sollte sogleich ins Verhör genommen werden.

Sie kamen, umgeben von einer ungeheuren Anzahl Menschen, an das öde Haus; denn jedermann wollte sehen, wie sich die Sache weiter begeben würde. Man pochte an das Haus, man zog die Glocke; aber vergeblich, es zeigte sich niemand. Da ließ der Bürgermeister in seiner Wut die Türe einschlagen und begab sich hierauf in die Zimmer des Fremden. Aber dort war nichts zu sehen als allerlei alter Hausrat. Der fremde Mann war nicht zu finden. Auf seinem Arbeitstisch aber lag ein großer versiegelter Brief, an den Bürgermeister überschrieben, den dieser auch sogleich öffnete. Er las:

„Meine lieben Grünwieseler!

Wenn Ihr dies leset, bin ich nicht mehr in Eurem Städtchen, und Ihr werdet dann längst erfahren haben, wes Standes und Vaterlandes mein lieber Neffe ist. Nehmet den Scherz, den ich mir mit Euch erlaubte, als eine gute Lehre auf, einen Fremden, der für sich leben will, nicht in Eure Gesellschaft zu nötigen! Ich selbst fühlte mich zu gut, um Euer ewiges Klatschen, um Eure schlechten Sitten und Euer lächerliches Wesen zu teilen. Darum erzog ich einen jungen Orang-Utang, den Ihr als meinen Stellvertreter so liebgewonnen habt. Lebet wohl und benützet diese Lehre nach Kräften!“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 88–89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_045.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)