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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

muß ich alle Tage zwei Stunden gehen. Ach, wenn es mein Vater wüßte!“

Der Mann, zu welchem Almansor dies sprach, war gerührt über die Not des Knaben und antwortete: „Komm nur mit mir und sei getrost; der Doktor soll dir nichts anhaben dürfen, wenn er auch heute weder Häring noch Salat verspeist! Sei getrosten Mutes und komm!“ Er nahm bei diesen Worten Almansor bei der Hand und führte ihn mit sich, und obgleich diesem das Herz pochte, wenn er an den Doktor dachte, so lag doch so viele Zuversicht in den Worten und Mienen des Mannes, daß er sich entschloß, ihm zu folgen. Er ging also, sein Körbchen am Arm, neben dem Soldaten viele Straßen durch, und wunderbar wollte es ihm bedünken, daß alle Leute die Hüte vor ihnen abnahmen und stehen blieben und ihnen nachschauten. Er äußerte dies auch gegen seinen Begleiter, dieser aber lachte und sagte nichts darüber.

Sie gelangten endlich an ein prachtvolles Schloß, auf welches der Mann zuging. „Wohnst du hier, Petit-Caporal?“ fragte Almansor.

„Hier ist meine Wohnung“, entgegnete jener, „und ich will dich zu meiner Frau führen.“

„Ei, da wohnst du schön!“ fuhr Almansor fort. „Gewiß hat dir der Sultan hier freie Wohnung gegeben?“

„Diese Wohnung habe ich vom Kaiser, du hast recht“, antwortete sein Begleiter und führte ihn in das Schloß. Dort stiegen sie eine breite Treppe hinan, und in einem schönen Saal hieß er ihn, seinen Korb absetzen, und trat dann mit ihm in ein prachtvolles Gemach, wo eine Frau auf einem Diwan saß. Der Mann sprach mit ihr in einer fremden Sprache, worauf sie beide nicht wenig lachten, und die Frau fragte dann Almansor in fränkischer Sprache vieles über Egypten. Endlich sagte Petit-Caporal zu dem Jüngling: „Weißt du, was das beste ist? Ich will dich gleich selbst zum Kaiser führen und bei ihm für dich sprechen.“

Almansor erschrak sehr; aber er gedachte an sein Elend und seine Heimat: „Dem Unglücklichen“, sprach er zu den beiden, „dem Unglücklichen verleiht Allah einen hohen Mut in der [107] Stunde der Not; er wird auch mich armen Knaben nicht verlassen. Ich will es tun, ich will zu ihm gehen. Aber sage, Caporal, muß ich vor ihm niederfallen? muß ich die Stirne mit dem Boden berühren? was muß ich tun?“

Die beiden lachten von neuem und versicherten, dies alles sei nicht nötig.

„Sieht er schrecklich und majestätisch aus, der Sultan?“ fragte er weiter, „hat er einen langen Bart? Macht er feurige Augen? Sage, wie sieht er aus?“

Sein Begleiter lachte von neuem und sprach dann: „Ich will dir ihn lieber gar nicht beschreiben, Almansor, du selbst sollst erraten, welcher es ist. Nur das will ich dir als Kennzeichen angeben: alle im Saal des Kaisers werden, wenn er da ist, die Hüte ehrerbietig abnehmen; der, welcher den Hut auf dem Kopf behält, der ist der Kaiser.“ Bei diesen Worten nahm er ihn bei der Hand und ging mit ihm nach dem Saal des Kaisers. Je näher er kam, desto lauter pochte ihm das Herz, und die Kniee fingen ihm an zu zittern, als sie sich der Türe näherten. Ein Bedienter öffnete die Türe, und da standen in einem Halbkreis wenigstens dreißig Männer, alle prächtig gekleidet und mit Gold und Sternen überdeckt, wie es Sitte ist im Lande der Franken bei den vornehmsten Agas und Bassas der Könige; und Almansor dachte, sein Begleiter, der so unscheinbar gekleidet war, müsse der Geringsten einer sein unter diesen. Sie hatten alle das Haupt entblößt, und Almansor fing nun an nach dem zu suchen, der den Hut auf dem Kopf hätte; denn dieser mußte der Kaiser sein. Aber vergebens war sein Suchen. Alle hatten den Hut in der Hand, und der Kaiser mußte also nicht unter ihnen sein; da fiel sein Blick zufällig auf seinen Begleiter, und siehe – dieser hatte den Hut auf dem Kopf sitzen!

Der Jüngling war erstaunt, betroffen. Er sah seinen Begleiter lange an und sagte dann, indem er selbst seinen Hut abnahm: „Salem aleikum, Petit-Caporal! Soviel ich weiß, bin ich selbst nicht der Sultan der Franken, also kommt es mir nicht zu, mein Haupt zu bedecken; doch, du bist der, der den Hut trägt – Petit-Caporal, bist denn du der Kaiser?“

„Du hast’s erraten“, antwortete jener, „und überdies bin

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 106–107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_054.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)