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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

sagte der Fuhrmann; ich denke, weil wir doch gerade zu vier sind, könnten wir Karten spielen; das hält wach und vertreibt die Zeit.“

„Ich spiele niemals Karten“, erwiderte der junge Herr, „darum kann ich wenigstens nicht mithalten.“

„Und ich kenne die Karten gar nicht“, setzte Felix hinzu.

„Was können wir denn aber anfangen, wenn wir nicht spielen“, sprach der Zirkelschmidt; „singen? Das geht nicht und würde nur das Gesindel herbeilocken; einander Rätsel und Sprüche aufgeben zum Erraten? Das dauert auch nicht lange. Wisset ihr was? wie wäre es, wenn wir uns etwas erzählten? Lustig oder ernsthaft, wahr oder erdacht, es hält doch wach und vertreibt die Zeit so gut wie Kartenspiel.“

„Ich bin’s zufrieden, wenn Ihr anfangen wollet“, sagte der junge Herr lächelnd. „Ihr Herren vom Handwerk kommet in allen Ländern herum und könnet schon etwas erzählen; hat doch jede Stadt ihre eigenen Sagen und Geschichten.“

„Ja, ja, man hört manches“, erwiderte der Zirkelschmidt, „dafür studieren Herren wie Ihr fleißig in den Büchern, wo gar wundervolle Sachen geschrieben stehen; da wüßtet Ihr noch Klügeres und Schöneres zu erzählen als ein schlichter Handwerksbursche wie unsereiner. Mich müßte alles trügen, oder Ihr seid ein Student, ein Gelehrter.“

„Ein Gelehrter nicht“, lächelte der junge Herr, „wohl aber ein Student und will in den Ferien nach der Heimat reisen; doch was in unsern Büchern steht, eignet sich weniger zum Erzählen, als was Ihr hie und dort gehört. Darum hebet immer an, wenn anders diese da gerne zuhören!“

„Noch höher als Kartenspiel“, erwiderte der Fuhrmann, „gilt bei mir, wenn einer eine schöne Geschichte erzählt. Oft fahre ich auf der Landstraße lieber im elendesten Schritt und horche einem zu, der nebenher geht und etwas Schönes erzählt; manchen habe ich schon im schlechten Wetter auf den Karren genommen, unter der Bedingung, daß er etwas erzähle, und einen Kameraden von mir habe ich, glaube ich, nur deswegen so lieb, weil er Geschichten weiß, die sieben Stunden lang und länger dauern.“

„So geht es auch mir“, setzte der junge Goldarbeiter hinzu, „erzählen höre ich für mein Leben gerne, und mein Meister in [121] Würzburg mußte mir die Bücher ordentlich verbieten, daß ich nicht zu viel Geschichten las und die Arbeit darüber vernachlässigte. Drum gib nur etwas Schönes preis, Zirkelschmidt, ich weiß, du könntest erzählen von jetzt an, bis es Tag wird, ehe dein Vorrat ausginge.“

Der Zirkelschmidt trank, um sich zu seinem Vortrag zu stärken, und hub alsdann also an:


Die Sage vom Hirschgulden[1].


In Oberschwaben stehen noch heutzutage die Mauern einer Burg, die einst die stattlichste der Gegend war, Hohenzollern[2]. Sie erhebt sich auf einem runden, steilen Berg, und von ihrer schroffen Höhe sieht man weit und frei ins Land. Soweit und noch viel weiter, als man diese Burg im Lande umher sehen kann, ward das tapfere Geschlechte der Zollern gefürchtet, und ihren Namen kannte und ehrte man in allen deutschen Landen. Nun lebte vor vielen hundert Jahren, ich glaube, das Schießpulver war noch nicht einmal erfunden, auf dieser Feste ein Zollern, der von Natur ein sonderbarer Mensch war. Man konnte nicht sagen, daß er seine Untertanen hart gedrückt oder mit seinen Nachbarn in Fehde gelebt hätte, aber dennoch traute ihm niemand über den Weg, ob seinem finsteren Auge, seiner krausen Stirne und seinem einsilbigen, mürrischen Wesen. Es gab wenige Leute außer dem Schloßgesinde, die ihn je hatten ordentlich sprechen hören wie andere Menschen, denn wenn er durch das Tal ritt, einer ihm begegnete und schnell die Mütze abnahm, sich hinstellte und sagte: „Guten Abend, Herr Graf, heute macht es schön Wetter“, so antwortete er: „Dummes Zeug“, oder „Weiß schon“. Hatte aber einer etwas nicht recht gemacht, für ihn oder seine Rosse, begegnete ihm ein Bauer im Hohlweg mit dem Karren, daß er


  1. Hirschgulden, ältere württembergische Münze im Werte von 23 Taler; genannt nach den als Schildhalter des Wappens dienenden Hirschen.
  2. Die Burg Hohenzollern, der Stammsitz des gleichnamigen Fürstenhauses, auf dem rund 860 m hohen Zollerberge im Oberamt Hechingen des preußischen Regierungsbezirks Sigmaringen, wurde zuerst im 9. Jahrhundert erbaut, am 15. Mai 1423 von der Gräfin Henriette von Württemberg und den schwäbischen Reichsstädten erobert und zerstört, aber 1454 unter Beihilfe des Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg wieder aufgebaut, im Dreißigjährigen Kriege abermals zerstört und 1850 bis 1867 vom König von Preußen neu aufgeführt.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Leipzig., Wien,: Bibliographisches Institut, 1891-1909, Seite 120-121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_061.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)