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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Am Berge tat ich stehen
Und schaute in das Tal,
Da hab’ ich sie gesehen
Zum allerletztenmal.“

Das fuhr wie ein leuchtender Blitz durch Peters Ohr, und hastig raffte er sich auf, stürzte aus dem Haus, weil er meinte, nicht recht gehört zu haben, sprang den drei Burschen nach und packte den Sänger hastig und unsanft beim Arm; „halt, Freund!“ rief er, „was habt Ihr da auf ‚stehen‘ gereimt, tut mir die Liebe und sprecht, was Ihr gesungen.“

„Was ficht’s dich an, Bursche?“ entgegnete der Schwarzwälder. „Ich kann singen, was ich will, und laß gleich meinen Arm los, oder -“

„Nein, sagen sollst du, was du gesungen hast!“ schrie Peter beinahe außer sich und packte ihn noch fester an; die zwei andern aber, als sie dies sahen, zögerten nicht lange, sondern fielen mit derben Fäusten über den armen Peter her und walkten ihn derb, bis er vor Schmerzen das Gewand des dritten ließ und erschöpft in die Kniee sank. „Jetzt hast du dein Teil“, sprachen sie lachend, „und merk dir, toller Bursche, daß du Leute, wie wir sind, nimmer anfällst auf offenem Wege.“

„Ach, ich will mir es gewißlich merken!“ erwiderte Kohlen-Peter seufzend; „aber so ich die Schläge habe, seid so gut und saget deutlich, was jener gesungen.“

Da lachten sie aufs neue und spotteten ihn aus; aber der das Lied gesungen, sagte es ihm vor, und lachend und singend zogen sie weiter.

„Also ‚sehen‘“, sprach der arme Geschlagene, indem er sich mühsam aufrichtete, „‚sehen‘ auf ‚stehen‘, jetzt, Glasmännlein, wollen wir wieder ein Wort zusammen sprechen.“ Er ging in die Hütte, holte seinen Hut und den langen Stock, nahm Abschied von den Bewohnern der Hütte und trat seinen Rückweg nach dem Tannenbühl an. Er ging langsam und sinnend seine Straße, denn er mußte ja seinen Vers ersinnen; endlich, als er schon in dem Bereich des Tannenbühls ging und die Tannen höher und dichter wurden, hatte er auch seinen Vers gefunden und machte vor Freuden einen Sprung in die Höhe. Da trat ein [157] riesengroßer Mann in Flözerkleidung und eine Stange so lang wie ein Mastbaum in der Hand hinter den Tannen hervor. Peter Munk sank beinahe in die Kniee, als er jenen langsamen Schrittes neben sich wandeln sah; denn er dachte, das ist der Holländer-Michel und kein anderer. Noch immer schwieg die furchtbare Gestalt, und Peter schielte zuweilen furchtsam nach ihm hin. Er war wohl einen Kopf größer als der längste Mann, den Peter je gesehen, sein Gesicht war nicht mehr jung, doch auch nicht alt, aber voll Furchen und Falten; er trug ein Wams von Leinwand, und die ungeheuern Stiefeln, über die Lederbeinkleider heraufgezogen, waren Peter aus der Sage wohlbekannt.

„Peter Munk, was tust du im Tannenbühl?“ fragte der Waldkönig endlich mit tiefer, dröhnender Stimme.

„Guten Morgen, Landsmann“, antwortete Peter, indem er sich unerschrocken zeigen wollte, aber heftig zitterte; „ich will durch den Tannenbühl nach Haus zurück.“

„Peter Munk“, erwiderte jener und warf einen stechenden furchtbaren Blick nach ihm herüber, „dein Weg geht nicht durch diesen Hain.“

„Nun, so gerade just nicht“, sagte jener, „aber es macht heute warm, da dachte ich, es wird hier kühler sein.“

„Lüge nicht, du, Kohlen-Peter!“ rief Holländer-Michel mit donnernder Stimme, „oder ich schlag’ dich mit der Stange zu Boden; meinst, ich hab’ dich nicht betteln sehen bei dem Kleinen?“ setzte er sanft hinzu. „Geh, geh, das war ein dummer Streich, und gut ist es, daß du das Sprüchlein nicht wußtest; er ist ein Knauser, der kleine Kerl, und gibt nicht viel, und wem er gibt, der wird seines Lebens nicht froh. - Peter, du bist ein armer Tropf und dauerst mich in der Seele; so ein munterer, schöner Bursche, der in der Welt was anfangen könnte, und sollst Kohlen brennen! Wenn andere große Taler oder Dukaten aus dem Ärmel schütteln, kannst du kaum ein paar Sechser aufwenden; ’s ist ein ärmlich Leben.“

„Wahr ist’s; und recht habt Ihr; ein elendes Leben.“

„Na, mir soll’s nicht drauf ankommen“, fuhr der schreckliche Michel fort; „hab’ schon manchem braven Kerl aus der Not geholfen,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 156-157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_079.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)