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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Es ist zweifellos viel gerade auf Hauff selbst Zutreffendes in diesen Sätzen. Die meisten seiner Erzählungen lehnen sich an irgend eine wahre oder sagenhafte Begebenheit, an historische oder damals noch lebende Persönlichkeiten an, von denen er irgendwo gelesen oder gehört hat, und die er nun in poetischer Verklärung, mit Zutaten seiner eigenen lebhaften Phantasie ausgeschmückt, in diesen Novellen behandelt. Dies ist ja allerdings die Schaffensart der meisten Geschichtenschreiber, aber es ist doch interessant, zu sehen, daß sie Hauff ausdrücklich auch für die seine erklärt und diese Erzeugnisse von den rein aus der Phantasie geschöpften Dichtungen anderer unterscheidet.

In jenem Aufsatze[1] aber geht er, wie in den Gesprächen des Derwisches und der jungen Leute im Märchenbande „Der Scheik von Alessandria“ auf die verschiedenartige Anlage der Märchen, so hier auf die verschiedene Gestaltungsart der Novellen ein, und wie er dort eigentliche Märchen von sogenannten Geschichten trennt, so hier mehr dramatisch, d. h. in Zwiegesprächen verlaufende Novellen von solchen rein erzählender Art. Er sagt, daß „von allen jenen, die in dieser Form sich versuchen, nur wenige sind, die über die innere Natur dieser Erzählungsart und über die Gesetze ihrer Form nachzudenken sich die Mühe nehmen. In unserer Jugend“, fährt er dann in seiner Betrachtung fort, „wo wir so gerne Erzählungen von Huber, Lafontaine und anderen lasen, bestand die Hauptaufgabe und der mächtigste Reiz einer Erzählung in einer gut erfundenen, interessanten Geschichte; die inneren Verhältnisse mußten gut geordnet, der Faden gleichmäßig und zart gesponnen sein, und es kam darauf an, die Verirrungen oder die Höhen des menschlichen Herzens nachzuweisen, weniger wie es sich in Empfindungen und Worten, als wie es sich in überraschenden und anziehenden Verhältnissen zeigt und ausspricht. Jene Art von Erzählungen hatte noch das Angenehme, Bequeme, ich möchte sagen Kindliche des Vortrags an sich. Es wurde in der Erzählung selten gesprochen, desto mehr gedacht und gehandelt; daher konntest du auch mit ein wenig Aufmerksamkeit und Gedächtnis eine solche Erzählung in jeder Gesellschaft in derselben Ordnung wieder vortragen, wie du sie gelesen hattest, denn sie war schon ursprünglich so geordnet und eingerichtet, wie etwa ein Reisender eine Geschichte, die sich da oder dort [273] zugetragen, erzählen würde. Eine der trefflichsten Dichtungen dieser Art ist das ‚Fräulein von Scuderi‘ von Hoffmann, und die Teilnahme, womit man dergleichen Erzählungen noch immer liest, beweist mir, daß der jetzt herrschende Geschmack nicht vorübergehend sein werde.“ Diesen Charakter, sich ohne weiteres leicht ihrem vollen Gehalte nach, den er sehr hoch anschlägt, erzählen zu lassen, bestreitet er z. B. den Tieckschen Novellen, und zwar aus demselben Grunde, aus dem man kein Schauspiel erzählen könne. „Jene Novellen aber“, sagt er, „haben das einfache Gebiet der Erzählung verlassen und sich dem Drama genähert, oder, um es anders zu sagen, im Gespräch entwickeln sich jetzt die Charaktere von selbst, deren Entwicklungsgang uns sonst nur angedeutet oder beschrieben erzählt wurde. Diese Manier, in welcher sich jener Meister (Tieck), der sie für sich erschaffen, mit großer Umsicht und Sicherheit bewegt, haben nun alle unsere Almanachsdichter mehr oder minder angenommen; sie ist Mode geworden. Aber leider verstehen sich die meisten derselben gar nicht darauf, jene Forderungen zu befriedigen, und schreiben dennoch Novellen“, klagt Hauff, der selbst in seinen Erzählungen dieser Art den von ihm hier gekennzeichneten Charakter mit großem Geschick und Glück angewendet hat und daher wohl als einer der trefflichsten Schüler Tiecks in dieser Beziehung gelten kann. Mit ebenso vielem Geschick und Glück hat er in seinem „Lichtenstein“ wie in einigen Novellen auch das gleichzeitig in Mode gekommene historische Stoffgebiet und Kolorit verwendet, mit dem so mancher andere sich zu seinem Unheil vergebens bemüht hat, wie Hauff hier bedauernd gleichfalls erwähnt.

Was nun die einzelnen der hier noch wiederzugebenden Novellen anlangt, so ist „Othello“ zuerst in der „Abendzeitung“ von 1826, „Die Sängerin“ im „Frauentaschenbuch für 1827“ und „Die letzten Ritter von Marienburg“ im „Frauentaschenbuch für 1828“ erschienen. Gesammelt wurden sie dann in der 1828 veröffentlichten Ausgabe gedruckt, die auch unserem Texte zu Grunde gelegt ist. Den reinsten Charakter einer Novelle zeigt von diesen dreien „Die Sängerin“, an der man noch viel Claurensche Art erkennen will und, wie in vielen anderen seiner Erzählungen, wenigstens im Ton, auch finden kann, da ihm ja Claurens Art durch seine Lesewut nur allzusehr in Fleisch und Blut übergegangen war. „Othello“ gemahnt sehr an die Schicksalsdramen der damaligen Zeit, ist aber doch eigentlich keine Nachahmung, ja fast eher eine Bekämpfung derselben, da Hauff offenbar


  1. Veröffentlicht von A. B. (d. i. wohl Adolf Böttiger) in einem „Wilhelm Müller und Wilhelm Hauff“ überschriebenen Artikel des „Morgenblattes“ Nr. 292 und 293 vom 6. und 7. Dezember 1827.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 272–273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_137.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)