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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

sein will. Er hat sich unverschämterweise bei Hofe präsentieren lassen, und so sehe ich ihn auf jedem Schritt und Tritt, und doch wollen es die Verhältnisse, daß ich ihn ignoriere. Überdies macht mir der fatale Mensch sonst noch genug zu schaffen; man will höheren Orts wissen, wovon er lebe und so glänzend lebe, da doch seine Güter konfisziert sind; und ich weiß es nicht herauszubringen. Sie kennen ihn, Baron?“

Der Fremde hatte diese Reden nur halb gehört; er sah unverwandt nach der fürstlichen Loge; er sah, wie Zronievsky mit der Fürstin und den andern Damen sprach, wie nur sein feuriges Auge hin und wieder nach Sophien hingleitete, wie sie begierig diesen Strahl auffing und zurückgab. Der Vorhang flog auf, der Graf trat zurück und verschwand aus der Loge; Leporello hub seine Klagen an.[1]

„Sie kennen ihn, Baron?“ flüsterte der Gesandte; „wissen Sie mir Näheres über seine Verhältnisse –“

„Ich habe mit ihm unter den polnischen Lanciers[2] gedient.“

„Ist wahr; er hat in der französischen Armee gedient; sahen Sie sich oft? kennen Sie seine Ressourcen?“

„Ich habe ihn nur gesehen“, warf der Fremde leicht hin, „wenn es der Dienst mit sich brachte; ich weiß nichts von ihm, als daß er ein braver Soldat und ein sehr unterrichteter Offizier ist.“

Der Gesandte schwieg; sei es, daß er diesen Worten glaubte, sei es, daß er zu vorsichtig war, seinem Gast durch weitere Fragen Mißtrauen zu zeigen. Auch der Fremde bezeugte keine Lust, das Gespräch weiter fortzusetzen; die Oper schien ihn ganz in Anspruch zu nehmen; und dennoch war es ein ganz anderer Gegenstand, der seine Seele unablässig beschäftigte. „Also hieher hat dich dein unglückliches Geschick endlich getrieben?“ sagte er zu sich, „armer Zronievsky! Als Knabe wolltest du dem Kosciusko[3] helfen und dein Vaterland befreien; Freiheit und Kosciusko sind verklungen und verschwunden! Als Jüngling warst du für den Ruhm der Waffen, für die Ehre der Adler[4], denen [285] du folgtest, begeistert, man hat sie zerschlagen; du hattest dein Herz so lange vor Liebe bewahrt, sie findet dich endlich als Mann, und siehe – die Geliebte steht so furchtbar hoch, daß du vergessen oder untergehen mußt!“

Das Geschick seines Freundes, denn dies war ihm Graf Zronievsky gewesen, stimmte den Fremden ernst und trübe, er versank in jenes Hinbrüten, das die Welt und alle ihre Verhältnisse vergißt, und der Gesandte mußte ihn, als der erste Akt der Oper zu Ende war, durch mehrere Fragen aus seinem Sinnen aufwecken, das nicht einmal durch das Klatschen und Bravorufen des Parterres unterbrochen worden war.

„Die Herzogin hat nach Ihnen gefragt“, sagte der Gesandte; „sie behauptet, Ihre Familie zu kennen; kommen Sie, wischen Sie diesen Ernst, diese Melancholie von Ihrer Stirne; ich will Sie in die Loge führen und präsentieren.“

Der Fremde errötete; sein Herz pochte, er wußte selbst nicht warum; erst als er den Korridor mit dem Gesandten hinging, als er sich der fürstlichen Loge näherte, fühlte er, daß es die Freude sei, was sein Blut in Bewegung brachte, die Freude, jenem lieblichen Wesen nahe zu sein, dessen stille Liebe ihn so sehr anzog.


2.

Die Herzogin empfing den Fremden mit ausgezeichneter Güte. Sie selbst präsentierte ihn der Prinzessin Sophie, und der Name Larun schien in den Ohren des schönen Kindes bekannt zu klingen; sie errötete flüchtig und sagte, sie glaube gehört zu haben, daß er früher in der französischen Armee diente. Es war dem Baron nur zu gewiß, daß ihr niemand anders als Zronievsky dies gesagt haben konnte; es war ihm um so gewisser, als ihr Auge mit einer gewissen Teilnahme auf ihm, wie auf einem Bekannten, ruhte, als sie gerne die Rede an ihn zu richten schien.

„Sie sind fremd hier“, sagte die Herzogin, „Sie sind keinen Tag in diesen Mauern, Sie können also noch von niemand bestochen sein; ich fordere Sie auf, seien Sie Schiedsrichter; kann es nicht in der Natur geheimnisvolle Kräfte geben, die – die,


  1. Mit der Arie „Keine Ruh’ bei Tag und Nacht“, die Leporello, Don Juans Diener, singt, beginnt Mozarts Oper.
  2. Lanzenreitern, Ulanen.
  3. Taddäus Kosciuszko (1746–1817), Oberfeldherr und (1794) Diktator Polens in dem Aufstande gegen Rußland, dessen Übermacht er endlich unterlag.
  4. Frankreichs Heereszeichen, von Napoleon I. eingeführt.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891-1909, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_143.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)