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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Ich will ihn retten“, rief der Freund, und der Graf Zronievsky schlug seinen Arm um ihn, preßte ihn heftig an seine Brust und eilte dann von ihm weg, den Korridor entlang.


4.

„Gut, daß ich Sie treffe“, rief der Graf Zronievsky, als er am nächsten Morgen dem Major auf der Straße begegnete, „ich wollte eben zu Ihnen und Sie um eine kleine Gefälligkeit ansprechen –“

„Die ich Ihnen schon gestern zusagte“, erwiderte jener, „wollen Sie mich in mein Hotel begleiten? es liegt längst für Sie bereit.“

„Um Gottes willen jetzt nichts von Geld“, fiel der Graf ein, „Sie töten mich durch diese Prosa; ich bin göttlich gelaunt, selig, überirdisch gestimmt. O Freund, ich habe es dem Engel gesagt, daß man uns bemerkt, ich habe ihr gesagt, daß ich fliehen werde, denn in ihrer Nähe zu sein, sie nicht zu sprechen, nicht anzubeten, ist mir unmöglich.“

„Und darf ich wissen, was sie sagte?“

„Sie ist ruhig darüber, sie ist größer als diese schlechten Menschen; ‚was ist es auch‘, sagte sie, ‚man kann uns gewiß nichts Böses nachsagen, und wenn man auch unser Verhältnis entdeckte so will ich mir gerne einmal einen dummen Streich vergeben lassen; wo lebt ein Mensch, der nicht einmal einen beginge?‘“

„Eine gesunde Philosophie“, bemerkte der Major; „man kann nicht vernünftiger über solche Verhältnisse denken; denn gerade die sind meist am schlechtesten beraten, die glauben, sie können alle Menschen blenden. Doch ist mir noch eine Frage erlaubt? wie es scheint, so sehen Sie Ihre Dame allein? denn was Sie mir erzählten, wurde schwerlich gestern im ‚Don Juan‘ verhandelt.“

„Wir sehen uns“, flüsterte jener, „ja, wir sehen uns, aber wo, darf ich nicht sagen, und so wahr ich lebe, das sollen auch jene Menschen nicht ausspähen. Aber lange, ich sehe es selbst ein, lange Zeit kann es nicht mehr dauern. Drum bin ich immer auf dem Sprung, Kamerad, und Ihre Hülfe soll mich retten, [293] wenn indes meine Gelder nicht flüssig werden. ‚Doch gilt es morgen, so laß uns heut noch schlürfen die Neige der köstlichen Zeit‘[1]; ich will noch glücklich, selig sein, weil es ja doch bald ein Ende haben muß.“

„Und wozu kann ich Ihnen dienen?“ fragte der Major, „wenn ich nicht irre, wollten Sie mich aufsuchen.“

„Richtig, das war es, warum ich kommen wollte“, entgegnete jener nach einigem Nachsinnen. „Sophie weiß, daß Sie mein Freund sind, ich habe ihr schon früher von Ihnen erzählt, hauptsächlich die Geschichte von der Berezina-Brücke[2], wo Sie mich zu sich auf den Rappen nahmen. Sie hat gestern mit Ihnen gesprochen und von ‚Othello‘, nicht wahr? Die Fürstin will nicht zugeben, daß er aufgeführt werde, wegen irgend einem Märchen, das ich nicht mehr weiß.“

„Sie waren sehr geheimnisvoll damit“, unterbrach ihn der Freund, „und wie mir schien, wird es die Fürstin auch nicht zugeben?“

„Und doch, ich habe sie durch ein Wort dahin gebracht. Die Prinzessin bat und flehte, und das kann ich nun einmal nicht sehen, ohne daß ich ihr zu Hülfe komme; ich nahm also eine etwas ernste Miene an und sagte: ‚Sonderbar ist es doch, wenn so etwas ins Publikum kommt, ist es wie der Wind in den Gesandtschaften, und kam es einmal so weit, so darf man nicht dafür sorgen, daß es in acht Tagen als Chronique scandaleuse an allen Höfen erzählt wird.‘ Die Fürstin gab mir recht; sie sagte, wiewohl mit sehr bekümmerter und verlegener Miene zu, daß das Stück gegeben werden solle; doch, als sie wegging, rief sie mir noch zu: sie gebe das Spiel dennoch nicht verloren, denn wenn auch ‚Othello‘ schon auf dem Zettel stehe, lasse sie die Desdemona krank werden.“


  1. Aus Schillers Reiterlied in „Wallensteins Lager“, wo es wörtlich heißt:

    „Und trifft es morgen, so lasset uns heut
    Noch schlürfen die Neige der köstlichen Zeit.“

  2. Während der Kämpfe an der Beresina (in Rußland) vom 22.–29. November 1812 wurde am 23. November die Brücke über den Fluß zerstört, doch auf Napoleons Befehl durch den Bau zweier neuen Brücken ersetzt, über die sein Heer in grauenhafter Verwirrung unter Beschießung seitens der Russen den Rückzug aus Rußland bewerkstelligte.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891-1909, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_147.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)