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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Brechen wir ab“, erwiderte jener, „was kommen muß, wird kommen, und wir würden vielleicht viel darum geben, hätten wir alles nur geträumt. Ich komme aber hauptsächlich zu Ihnen, um Sie zur Probe einzuladen. Sie haben sich so generös gegen uns bewiesen, daß ich mir ein Vergnügen daraus mache, Ihnen unser Personal, namentlich die neue Sängerin zu zeigen.“

Die Freunde nahmen freudig den Vorschlag an. Der Graf schien wie immer seine Heftigkeit zu bereuen, und diese Zerstreuung kam ihm erwünscht; auf dem Major hatten jene Ausbrüche einer Selbstanklage schwer und drückend gelegen; auch er nahm daher mit Dank diesen Ausweg an, um einer nähern Erklärung seines Freundes, die er eher fürchtete als wünschte, zu entfliehen.


8.

Und wirklich schien auch seit jener Stunde der Graf diese Saite nicht mehr berühren zu wollen; er schien wohl hin und wieder düster, ja die Augenblicke des tiefen Grames kehrten wieder, aber nicht mit ihnen das Geständnis einer großen Schuld, das damals schon auf seinen Lippen schwebte; er war verschlossener als sonst. Der Major sah ihn sogar einige Tage beinahe gar nicht; die Geschäfte, die ihn in diese Stadt gerufen hatten, ließen ihm wenige Stunden übrig, und diese pflegte gerade der Graf dem Theater zu widmen; denn sei es aus Lust an der Sache selbst, oder um im Sinne der Geliebten zu handeln und ihre Lieblingsoper recht glänzend erscheinen zu lassen, er war in jeder Probe gegenwärtig; sein richtiger Takt, seine ausgebreiteten Reisen, sein feiner, in der Welt gebildeter Geschmack verbesserten unmerklich manches, was dem Auge und Ohr selbst eines so scharfen Kritikers, wie der Regisseur war, entgangen wäre; und der alte Mann vergaß oft stundenlang die schwarzen Ahnungen, die seine Seele quälten, so sehr wußte Graf Zronievsky sein Interesse zu fesseln.

So war „Othello“ zu einer Vollkommenheit fortgeschritten, die man anfangs nicht für möglich gehalten hätte; die Oper war durch die sonderbaren Umstände, welche ihre Aufführung bisher verhindert hatte, nicht nur dem Publikum, sondern selbst den Sängern neu geworden; kein Wunder, daß sie ihr möglichstes [309] taten, um so großen Erwartungen zu entsprechen, kein Wunder, daß man mit freudiger Erwartung dem Tag entgegensah, der den Mohren von Venedig auf die Bretter rufen sollte.

Es kam aber noch zweierlei hinzu, das Interesse des Publikums zu fesseln. Der Sängerin Fanutti war ein großer Ruf vorausgegangen, man war neugierig, wie sie sich vom Theater ausnehme, wie sie Desdemona geben werde, eine Rolle, zu der man außer schönem Gesang auch ein höheres tragisches Spiel verlangte. Hiezu kam das leise Gerücht von den sonderbaren Vorfällen, die jedesmal „Othello“ begleitet hatten; die ältern Leute erzählten, die jüngeren sprachen es nach, zweifelten, vergrößerten, so daß ein großer Teil des Publikums glaubte, der Teufel selbst werde eine Gastrolle im „Othello“ übernehmen.

Der Major von Larun hatte Gelegenheit, an manchen Orten über diese Dinge sprechen zu hören; am auffallendsten war ihm, daß man bei Hof, wo er noch einige Abende zubrachte, kein Wort mehr über „Othello“ sprach; nur Prinzessin Sophie sagte einmal flüchtig und lächelnd zu ihm: „‚Othello‘ hätten wir denn doch herausgeschlagen, Ihrer Krankheitstante, Baron, und der diplomatischen Drohung des Grafen haben wir es zu danken; wie freue ich mich auf Sonntag, auf mein Desdemona-Liedchen; wahrlich, wenn ich einmal sterbe, es soll mein Schwanengesang werden.“

„Gibt es Ahnungen?“ dachte der Major bei diesen flüchtig hingeworfenen Worten, die ihm unwillkürlich schwer und bedeutungsvoll klangen; „die Sage von der gespenstigen Desdemona, die Furcht des alten Regisseur, seine Träume vom Trauergeleite und dieser Schwanengesang!“ Es sah der holden, lieblichen Erscheinung nach, wie sie froh und freundlich durch die Säle gleitete, wie sie, gleich dem Mädchen aus der Fremde, jedem eine schöne Gabe, ein Lächeln oder ein freundliches Wort darreichte – „wenn der Zufall es wieder wollte“, dachte er, „wenn sie stürbe!“ Er verlachte sich im nächsten Augenblicke selbst, er konnte nicht begreifen, wie ein solcher Gedanke in seine vorurteilsfreie Seele kommen könne – er suchte mit Gewalt dieses lächerliche Phantom aus seiner Erinnerung zu verdrängen – umsonst! Dieser Gedanke kehrte immer wieder, überraschte ihn mitten unter den

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891-1909, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_155.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)